Konsumgenossenschaft Altenburg wirft Ketten der Zwangsmitgliedschaft ab

Altenburg/Berlin, 27. April 2018 (geno). Die Konsumgenossenschaft Altenburg betritt juristisches Neuland. Sie versucht sich von den Ketten der Zwangsmitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband zu befreien. Der erste Schritt dazu erfolgte vor zwei Jahren, indem sie zum 31. Dezember 2016 die Mitgliedschaft im Genossenschaftsverband kündigte. Darüber informiert die aktuelle Ausgabe der von Zentralkonsum eG herausgegebenen Publikation „GenoSplitter.“ Die Reaktion des Registergerichts erfolgte im Januar dieses Jahres. Die Selbsthilfeorganisation in der nordöstlichen thüringischen Stadt wurde von der Justiz aufgefordert, die Mitgliedschaft in einem Verband binnen zwei Monaten nachzuweisen. „Sollte sie diesen Nachweis nicht erbringen, dann droht die Löschung der Genossenschaft aus dem Register. Die Genossenschaft lässt sich ordnungsgemäß von einem Genossenschaftsverband prüfen, wird jedoch nicht deren Mitglied“, teilt „GenoSplitter“ weiter mit.

Der Vorgang birgt enorme Brisanz und Sprengkraft. Die Altenburger Genossenschaft ist mit ihrer demokratischen Entscheidung, die erzwungene Zugehörigkeit zu einem Verband abzustreifen, die weit und breit erste in Deutschland. Die Zwangsmitgliedschaft von Genossenschaften, die offiziell verharmlosend als Pflichtmitgliedschaft bezeichnet wird, wurde per Gesetz in der Zeit des Nationalsozialismus im Jahr 1934 im Rahmen der sogenannten Gleichschaltung eingeführt. Obwohl die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges sämtliche während des Dritten Reiches in Kraft getretenen Gesetze für nichtig und rechtsunwirksam erklärt haben, wird neben vielen anderen nationalsozialistischen Vorschriften auch die verbandliche Zwangsmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland juristisch einfach weiter praktiziert. ++ (kg/mgn/27.04.18 – 085)

www.genonachrichten.de, wwww.genonachrichten.wordpress.com, www.genossenschaftsnachrichten.wordpress.com, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27

Ein Kommentar von Gerald Wiegner   Redaktion Genossenschaftsnachrichten.  Die Genossenschaftspraxis leide,   laut igenos der Interessengemeinschaft der Genossenschaftsmitglieder, unter dem 3F-Phänomen. Betroffen sind vor allem die Genossenschaftsbanken, die mehr als 80% der Genossenschaftsmitglieder
stellen.  3F steht für die Problemfelder Führungsstil, Förderauftrag und Fusionspolitik. Was heißt das?

Führungsstil.
 Der von den Genossenschaftsverbänden vorgegebene und gelebte Führungsstil wurde 1934 als Führerprinzip eingeführt und widerspricht der genossenschaftlichen Idee der Entscheidungsfindung von unten nach oben (Bottom up-Prinzip). Als Konsequenz entscheiden heute in Deutschland die Genossenschaftsverbände über die Unternehmensausrichtung und die Strategie der ihnen untergeordneten Genossenschaften. Das hat rein gar nichts mit der Genossenschaftsidee zu tun. Der Austritt aus einem Genossenschaftsverband ist eine richtige, längst überfällige Antwort. Hier werden Gesetze bemüht, die wir nicht brauchen. Gesetze die ohne Parlamentsbeschluss von einem größenwahnsinnigen Obergefreiten eingeführt wurden. Gesetze die im kalten Krieg einfach vergessen wurden, weil es andere Probleme gab. Gesetze die von den davon profitierenden Selbstverwaltungsorganisationen so lange  zurechtgebogen wurden bis diese passten,  damit diese passten um langfristig die Erträge zu  sichern.   Leben wir hier in einer Narrenrepublik, in der  niemand bereit ist die Verantwortung zu übernehmen?  Es ist sicherlich bequemer  sich zu ducken und  sich hinter einer Verordnung zu verkriechen.  Wir werden sehen, wie das OLG Dreden entscheidet.
Genossenschaften sind kein Naturschutzpark in dem besondere  Regeln gelten. Ist die Genossenschaft handlungsunfähig, nur weil diese jetzt keinen Genossenschaftsverband mehr angehört?  Sicherlich nicht. igenos e.V. die Interessengemeinschaft der Genossenschaftsmitglieder ist notfalls gerne bereit die Konsumgenossenschaft Altenburg aufzunehmen, schon allein damit diese den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten kann.
Der Auffassung,  Vorstand und Aufsichtsrat vertreten  die Interessen ihrer Genossenschaft, kann auch nicht gefolgt werden. Auch diese Idee stammt aus dem Führerstaat.  Begründung: Die Vorstände zeigen keinerlei genossenschaftliche Vergütungssolidarität, die Vorstandsvergütung unterliegt oftmals der Geheimhaltung. Genossenschaftsvorstände fühlen sich – gemäß Führerprinzip – häufig an die Entscheidungen und Strategien der übergeordneten Verbände gebunden und orientieren sich an vorgegebenen Mustersatzungen. Dieses Verhalten entspricht häufig nicht den Interessen der Genossenschaftsmitglieder und ist auch nicht immer mit dem genossenschaftlichen Förderauftrag vereinbar. Aufsichtsräte sind häufig vielfach Bestandteil des Geschäftsmodels, deren Ziel es, ist die Genossenschaftsmitglieder zu verdummen.  Ein weiterer Grund das Genossenschaftsgesetz grundlegend zu überarbeiten. Eine Genossenschaft soll grundsätzlich von ihren Mitgliedern gesteuert und nicht von einem genossenschaftlichen Verband ferngesteuert werden. Wenn eine Genossenschaft zu groß ist, muss über eine Änderung der Rechtsform nachgedacht werden. Die Vertreterversammlung ist keine tragbare Lösung.

Förderpolitik: Die genossenschaftliche Mitgliederförderung ist laut § 1 des Genossenschaftsgesetzes das Kernelement jeder Genossenschaft. Für die Genossenschaftsbanken wird der genossenschaftliche Förderauftrag in der Bundestagsdrucksache V 3500 ausführlich beschrieben. Dort heißt es: “Die Geschäftstätigkeit der Kreditgenossenschaften hat sich an der im Genossenschaftsgesetz statuierten Aufgabe auszurichten, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zu fördern. Da diese Förderung durch unmittelbar gewährte Sach- und Dienstleistungen verwirklicht werden soll, liegt der Geschäftszweck der Genossenschaften seinem Wesen nach nicht in der Erzielung von Gewinnen.Die Praxis der Kreditgenossenschaften sieht anders aus. Wenn also die Mitgliederförderung – die Leistung der Genossenschaft gegenüber den Mitgliedern – nicht praktiziert wird, stehen folgerichtig auch die Gegenleistungen, die Mitgliederhaftung und der Verzicht auf den Wertzuwachs der Genossenschaftsanteile bzw. die ganze Rechtsform zur Disposition. Die indirekte Förderung der Mitglieder über eine Förderung der Region ist nicht mit dem Genossenschaftsgesetz vereinbar und kein Ersatz für die Mitgliederförderung.

Fusionspolitik: Die heute von den Verbänden vorgegebene Fusionspolitik ist weder mit den Mitgliederinteressen noch mit der Erfüllung des Förderauftrags zu vereinbaren. Die Mitglieder der durch Fusion gelöschten Genossenschaft werden von ihren Aufsichtsräten und Vorständen nicht über die Höhe ihres Genossenschaftsvermögens informiert. Abstimmungen  werden häufig mit  Blankovollmachten manipuliert. Die Mitglieder werden von Ihren Vorständen aufgefordert, ihr Mitgliedervermögen an die übernehmende Bank abzutreten. Auf diese Weise wird das vor Ort erwirtschaftete Mitgliedervermögen abgezogen.

Aber es git auch gute Nachrichten. Laut Umwandlungsgesetz UmwG § 25 haften Vorstände und Aufsichtsräte noch 5 Jahre für Ihre Informationspolitik. Gute Nacht die Herren.
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Im “Problempunkt F” steht, dass man eine Genossenschaft durchaus umwandeln könne, wenn sie zu groß sei. Ist das wirklich der (einzig) richtige Weg? Mondragon zeigt sehr überzeugend, dass es intelligenter sein kann, ab einer bestimmten Größe die Genossenschaft “kooperativ zu erweitern”. Damit ist – vereinfacht – gemeint, eine weitere Genossenschaft zubilden, die mit der “Ursprungsgenossenschaft” koopertiv (vertraglich) zwar verbunden bleibt, jedoch ein eigenständig wird. Würde man anders verfahren, würde man – unnötig – eine wichtige Option preisgeben, eine Konkurrenzgesellschaft in eine Kooperationsgesellschaft zu wandeln. Denn in der Konsequenz, würde dann eine AG sozusagen “restitent” für Umwandlung sein, was wohl kaum gewollt ist. Etwas anderes wäre es, über einen anderen Begriff nachzudenken, wie z.B. eine Modifikation einer AG und diese als “genossenschaftliche Aktiengsellschaft” auszuweisen, wie dies bereits im Geno-Bankenbereich geschehen ist. (siehe VB Plankstetten). Interessant ist der Vorschlag von GenoNachrichten trotzdem, denn er zwingt, über wirklich neue Impulse nachzudenken, wie z.B. aktienrechtliche Komponenten mit dem Genossenschaftsrecht bewusst zum Korrespondieren zu bringen. Warum nicht eine neue Rechtsform entwickeln, z.B. eine “Kooperationsgesellschaft”. Den Begriff hatte man schon einmal geschaffen (für Kleinstgenossenschaften als Alternative zur Ltd.). Warum nicht erneut ihn zu nutzen, um zwischen AG und Geno eine weitere kooperative Rechtsform zu etablieren?

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