Genossenschaftsbanken Verfremdungsursache Größenwahn

Genossenschaftsbanken waren in der Vergangenheit glaubwürdig in ihrer Region verankert. Die Kunden waren Mitglieder, man kannte sich untereinander. Inzwischen befassen wir uns mit Verfremdungsursachen und externen Größenwachstum. Fusionen sollen laut Aussagen des BVR (Bundesverband der Volks- und Raiffeisenkassen) für eine unumgänglich gehaltene Anpassung an die Branchenent­wicklung fördern. Dabei ist nach Ansicht von Branchenkennern der Zug bereits abgefahren.

Bei mehreren Fusionswellen im deutschen Genossenschaftssektor war mitunter der Blick auf Eigenbelange des Genossenschaftsunternehmens wie Stärkung der Wettbewerbs­fähigkeit, Marktmacht sowie Erzielung von Markterfolg gerichtet, deren Mittel-Zweck-Beziehung zum Förderauftrag jedoch nicht erkennbar wurde. Dass die Schaffung von Genossenschaften mit räumlich ausgedehntem Geschäftsgebiet, größerem Kundenkreis und Geschäftsvolumen nicht zwingend zu einer Steigerung der Fördereffizienz führt, zeigen Erfahrungen in der Praxis. Fusionsbedingte sprunghafte Größenveränderungen wirken sich zudem vielfach negativ auf die genossenschaftsinternen Bindekräfte aus, d. h. auf den Gruppenzusammenhalt, den Kontakt zwischen den Mitgliedern, deren Beteiligung an Willens­bildung und Kontrolle sowie die Stabilität der Geschäftsbeziehung der Mitglieder zum Genossen­schaftsunternehmen. Verschmelzungen bergen die Gefahr einer Anonymisierung dieser Bezie­hungsfelder und der Entfremdung in sich, wenn nicht von vornherein die Vermeidung solcher Prozesse mit geeigneten organisatorischen Mitteln betrieben wird. igenos und die Genonachrichten haben sich intensiv mit der Fusionspolitik der vergangenen Jahrzehnte befasst. Konkrete Beispiele finden Sie hier, hier und hier.

Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft droht zur Formalität zu degenerieren, in Großgenossenschaften gibt es keine glaubwürdige genossenschaftliche Willensbildung.

Weil es dem Wettbewerbern nicht gelingt, die genossenschaftliche Mitgliedschaft zu imitieren, stellt diese das wohl markanteste Identifikationsmerkmal und eine wertvolle „strategische Ressour­ce“ darstellt. Was einen Wert verkörpert, über den Unternehmen anderen Typs nicht verfügen, macht Genossenschaften unverwechselbar. Doch wie geht die Praxis zum Teil damit um? In Prospektmaterial, das auf die Gewinnung neuer Mitglieder zielt, wird nicht selten damit geworben, dass die Mitgliedschaft einfach zu erwerben sei. Es genügt die Unterschrift der am Beitritt zur Genossenschaft Interessierten unter ein Formular. Sie werden kaum über die durch Gesetz und Satzung bestimmten Mitgliedschaftsrechte wie Teilnahme an Mitgliederver­sammlungen, Stimmrecht, das aktive und passive Wahlrecht sowie das Recht auf Auskunft und die Organschafts- und vermögensrechtlichen Pflichten eines Mitglieds aufgeklärt. Der Wahrheits­gehalt dieser Aussage lässt sich überprüfen, indem man sich in der Geschäftsstelle einer Ge­nossenschaftsbank nach Details der Mitgliedschaft erkundigt.

In dem Maße, wie die Mitgliedschaft zwar gelegentlich als „Alleinstellungsmerkmal“ betont, aber außerhalb von Werbekampagnen nur zurückhaltend kommuniziert und Mitgliedschaftsanwär­tern angetragen wird, findet eine Verwässerung dieses ideellen Kerns einer Genossenschaft bis hin zur bloßen Formalität statt. Bleiben dann während der Zugehörigkeit zum Kooperativ die subjektiven Fördererwartungen aus, die für den Beitritt entscheidend waren, ist der Mit­gliedschaft keine wirkliche Bedeutung zuerkannt. Unter solchen Umständen sind die Chancen für eine individuelle Bindung an die Genossenschaft gering. Das Mitglied wird leicht dazu neigen, seine Leistungsbeziehungen auf vorteilhafte Umsatzakte zu beschränken, aber nicht daran interessiert sein, auf der Selbstverwaltungsebene aktiv zu werden.

Es fällt sicher schwer, der Mitgliedschaft einen besonderen Wert abzugewinnen, wenn etwa in der bankgenossenschaftlichen Sparte der Eindruck entsteht, diese organisatorische Zugehörig­keit werde gegen Übernahme von Geschäftsanteilen mit dem Versprechen einer Kapitaldividen­de „verkauft“. Durch Verblassen des personalistischen Elementes kann ein Klima entstehen, in dem für einen Teil der Trägerschaft die Institution „Mitgliedschaft“, die ein einzigartiges Pro­filierungsinstrument sein sollte, in die Nähe einer Gelegenheit zu rentabler Kapitalanlage rückt. Häufig wird eine Vernachlässi­gung des konstitutiven Elementes „Mitglied­schaft“ zum Aus­gangspunkt für einen umfassen­deren Konturverlust. Für ein positives Selbstver­ständnis wären demgegenüber eine Aufwertung der Mitgliedschaft und die identitätssichernde Wirkung weite­rer Differenzierungspotenziale notwendig.
(C) 2017-2023 Arbeitsgruppe Coopgo / Förderwirtschaft

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