Genossenschaftsbanken durch Verlust regionaler Verankerung gefährdet

München, 8. Oktober 2018 (geno). „Einst hatte fast jedes Dorf seine eigene Raiffeisenkasse“. So titelt die Tageszeitung „Die Welt“ am Montag in ihrem Wirtschaftsteil einen Beitrag über die ländlichen Genossenschaftsbanken, die so rar werden, dass sie mit der Lupe gesucht werden müssen. Als Grund wird ein seit Jahrzehnten anhaltender Fusionstrend ausgemacht, der sich wegen steigendem Kostendruck und Regulierungsaufwand noch beschleunigt. Am Beispiel des Bundeslandes Bayern, das eine traditionelle Hochburg genossenschaftlicher Kleinbanken ist, wird das illustriert. Nach Einschätzung des Präsidenten des Genossenschaftsverbandes Bayern (GVB), Jürgen Gros, werden für dieses Jahr acht Zusammenschlüsse erwartet. Im vergangenen Jahr waren es 16. 

Die nackten Zahlen der jüngsten Historie genossenschaftlicher Banken in ganz Deutschland sind deprimierend. Sie demonstrieren den Schrumpfungsprozess eindrucksvoll: 1970 gab es allein in Westdeutschland noch 7.096 Volks- und Raiffeisenbanken. Im Jahr 2000 waren es im wiedervereinigten Deutschland 1.794. Im Jahr 2017 sank die Zahl der deutschen Genossenschaftsbanken  auf 915. Und das, obwohl die Beliebtheit dieser Art Kreditinstitut zugenommen hat. Die Zahl der Mitglieder ist in den vergangenen knapp fünf Jahrzehnten von gut sechs auf 18 Millionen gestiegen. Die durchschnittliche Bilanzsumme hat sich mehr als verzwanzigfacht. 

Expertenmeinungen zu diesen Tendenzen klingen besorgt. „Die regionalen Banken kennen ihren Markt und ihre Kunden ganz genau. Wenn die ihre Regionalverankerung verlieren, wird’s gefährlich“, sagt Hans-Peter Burghof, Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim.

Trotzdem bleiben die Führungsebenen der Genossenschaftsbanken unbekümmert. Die Branche sieht die Lage sogar ganz anders. GVB-Chef Gros behauptet: „die Volks- und Raiffeisenbanken sind nach wie vor nah an ihren Kunden. Im europäischen Vergleich haben wir  in Deutschland eine sehr hohe Betreuungsdichte mit einem Bankmitarbeiter auf 131 Einwohner. Der europäische Durchschnitt liegt bei 174 Einwohner.“

Burghof weist die Schuld an den zwiespältigen Entwicklungen der europäischen Bankenaufsicht zu. Die regionalen Banken würden größer und die örtliche Bindung gehe verloren. „Es ist nicht der Markt, der die Fusionen treibt, es ist die Aufsicht. Wir haben ein gut funktionierendes System. Unsere Banken sind nicht zu klein, Größe und hohe Gewinne kein Zeichen von Effizienz.“ ++ (rf/mgn/08.10.18 – 199)

www.genonachrichten.de, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27

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1 Kommentar.

  • Georg Scheumann
    10. Oktober 2018 10:42

    Im Durchschnitt der letzten 5 Jahre waren es 37 Genossenschaftsbanken pro Jahr deren Existenz durch Fusion beendet wurde.
    Durchschnitt letzte 10 Jahre: 32 pro Jahr
    Durchschnitt letzte 15 Jahre: 39 pro Jahr
    Durchschnitt letzte 17 Jahre: 44 pro Jahr
    Seit 1970: Ø 128 gelöschte Genossenschaftsbanken pro Jahr

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