Wohnungsgenossenschaften – missbrauchen die Genossenschaftsverbände ihre Machtposition?

Allgemein

Die aktuelle Diskussion um den Einfluss und auch um den Machtmissbrauch der genossenschaftlichen Prüfungsverbände hat unseren Autor Bernd Landgraf veranlasst einen  Vortrag von Prof. Keßler zusammenzufassen und auch zu kommentieren.  Keßlers Referat, was nachstehend kurz wiedergegeben wird, wurde anlässlich der Veranstaltung  Solidarische Stadt im November 2018 gehalten. Die aktuelle Diskussionen um den Mietendeckel und die Einflussnahme durch die Verbände haben unseren Autor veranlasst das Thema noch einmal aufzugreifen und zu vertiefen.

1. Geschäfte mit Nichtmitgliedern, wir werden darauf zurückkommen, dürfen Genossenschaften gemäß § 8 Abs.1 Nr. 5 GenG nur tätigen, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht und das Nichtmitgliedergeschäft zumindest mittelbar förderwirksame Auswirkungen zugunsten der Mitglieder zeitigt, sei es durch die Werbung neuer Genossen oder durch die Erzielung von Größenvorteile – Economics of Scale – die sich kostenentlastend auf die Mitglieder auswirken.

2. Zweck der Genossenschaft sei „die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung. Weder das Genossenschaftsgesetz noch andere gesetzliche Vorgaben erteilen der Genossenschaft oder ihren Vorständen und Aufsichtsräten einen darüberhinausgehenden Gemeinwohlauftrag.

3. Zwar können Genossenschaften gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 GenG im Rahmen von Beteiligungen (Tochtergesellschaften) auch gemeinnützige Bestrebungen verfolgen, doch dürfen diese nach dem Gesetz nicht den alleinigen oder überwiegenden Zweck der Genossenschaft bilden. Die eng begrenzte Regelung erfasst allerdings gerade nicht das Hauptgeschäft der Wohnungsgenossenschaften und damit die Wohnungsversorgung der Mitglieder oder Dritter.

4. Wie steht es also um die Gemeinwohlbindung der Genossenschaften? Zumindest ist es keine gesetzliche Bindung an das „Allgemeinwohl“, auch keine Bindung an das Gemeinwohl einer Kommune, sondern ausschließlich an das Gemeinwohl der Mitglieder, wie insbesondere die Ausdehnung des genossenschaftlichen Förderzwecks auf die sozialen und kulturellen Belange der Mitglieder durch die Genossenschaftsnovelle 2006 verdeutlicht. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass die Binnenorientierung der Genossenschaft an den Belangen ihrer Mitglieder zugleich gemeinwohlfördernde Außenwirkungen zur Folge hat, die – ob gewollt oder nicht – auch ihrem Wohnumfeld zugutekommen.

5. Nicht zuletzt gewährleisten das Dauerwohnrecht der Mitglieder und der Ausschluss der ordentlichen Kündigung in den Nutzungsverträgen soziale Stabilität im Einzugsbereich des genossenschaftlichen Wohnungsangebots und begrenzt zugleich durch die Ausstrahlungswirkungen des meist unter der örtlichen Durchschnittmiete liegenden Nutzungsentgelts das Mietenniveau in seinem Umfeld. Insofern erweist es sich lohnenswert die Rolle der Wohnungsgenossenschaften als Marktakteur und damit das genossenschaftliche Geschäftsmodell sowohl aus seiner historischer wie aus gegenwärtiger Perspektive näher zu beleuchten.

6. Vielleicht ist es gerade die genossenschaftliche Unternehmensverfassung als Widerspiegelung eines kooperativen, d.h. nutzerbezogenen, Geschäftsmodells, die als Alternative zu den Kapitalgesellschaften den gemeinwohlverträglichen Weg einer alternativen Wirtschaftsform aufzeigt.

7. Dabei unterscheidet sich das genossenschaftliche Unternehmenskonzept trotz der offensichtlichen Parallelen zu den Kapitalgesellschaften insgesamt deutlich von den heute auf dem Immobilienmarkt vorherrschenden Investoren, meist in der Form der Aktiengesellschaft oder der GmbH. 

8. einer beitrittsoffenen Verbandsstruktur zugleich den prägenden Elementen seiner Genossenschaftsphilosophie Ausdruck zu verschaffen: der Selbstverwaltung und Selbstkontrolle des genossenschaftlichen Unternehmens durch die Mitglieder. Damit tritt zugleich das zentrale Element genossenschaftlichen Wirtschaftens zu Tage, die Doppelstellung der Mitglieder als Anteilseigner und Eigenkapitalgeber des genossenschaftlichen Unternehmens, die zugleich Kunden, d.h. bei den Wohnungsgenossenschaften Mieter und Nutzer des genossenschaftlichen Wohnungsbeststands sind. Gerade hier liegt der entscheidende Unterschied zu den Kapitalgesellschaften.

9. Dennoch mag es sich als nützlich erweisen, zu untersuchen, ob und gegebenenfalls mit welchen Modifikationen, sich die mit einzelnen zentralen genossenschaftlichen Prinzipien ursprünglich verbundenen Erwartungen unter der rechtlichen und sozialen Realverfassung heutiger Genossenschaften realisieren lassen oder ob es – angesichts einer sich im Zeichen der Globalisierung immer schneller verändernden Welt – gar einer partiellen Neuausrichtung des Genossenschaftsmodells bedarf.

10. Fragt man nach Funktion und Bedeutung des Grundsatzes der Selbstorganschaft im Systemgefüge der Genossenschaft, so liegt die Antwort auf der Hand. Ist es um die Selbstverwaltung und Selbstkontrolle der Genossenschaftsmitglieder zu tun, so müssen die Mitglieder des Leitungs- und Kontrollorgans, d.h. von Vorstand und Aufsichtsrat, aus den Reihen der (nutzenden) Genossenschaftsmitglieder bestellt werden.

11. Allerdings finden sich vor allem in Vorständen größere Genossenschaften immer seltener Organmitglieder aus den Reihen der zu fördernden Mitglieder. Angesicht der zunehmenden 

Professionalisierung und Akademisierung auch des genossenschaftlichen Management, erfolgt die Auswahl der Vorstandsmitglieder zumeist über den Arbeitsmarkt für Führungskräfte, nicht selten unter Einschaltung von Personalagenturen. Die ausgewählten Bewerber erwerben die Mitgliedschaft einzig noch zu dem Zweck, die gesetzliche Voraussetzung für ihre Bestellung zu gewährleisten.

12. Aber auch die zur Kontrolle der Förderleistung berufenen Aufsichtsräte, werden nicht selten durch außenstehende Funktionsträger besetzt, die nur um ihres Mandats willen die Mitgliedschaft erwerben, ohne ihrerseits an der Förderleistung der Genossenschaft zu partizipieren. Vereinzelt finden sich auch genossenschaftliche Aufsichtsräte, in denen kein einziges, die Leistungen der Genossenschaft nutzendes, Mitglied vertreten ist.

13. Problematischer erscheint mir die Situation hinsichtlich der Aufsichtsräte, deren Überwachungsfunktion vor allem auf die Einhaltung und Ausgestaltung des Fördergrundsatzes im Interesse der Mitglieder ausgerichtet ist. Auch hier ist im Interesse einer effektiven Überwachung der Vorstandstätigkeit Expertenwissen in bestimmten Bereichen unabdingbar, dies gilt nicht zuletzt für die Auswahl des Führungspersonals auf der Vorstandsebene.

14. Auch wenn im Hinblick auf Großgenossenschaften eine Rückkehr zu den Ursprüngen der genossenschaftlichen Leitungsverfassung weder wirtschaftlich möglich, noch – je nach gesellschaftspolitischer Sichtweise – wünschenswert erscheint, berührt die Frage nach der Einbindung der Mitglieder die Zukunft der genossenschaftlichen Unternehmen in ihrem Kern. Vielleicht nicht zwingend ihren wirtschaftlichen Bestand, so doch ihren genossenschaftlichen Charakter als, dies wage ich zu behaupten, künftig mitentscheidendes Alleinstellungsmerkmal der Genossenschaften im Wettbewerb mit anderen Unternehmensformen. Dies betrifft sowohl dem Wettbewerb um Kunden, als auch den mit der demografischen Entwicklung verbundenen zunehmenden Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte.

15. Dass gelegentlich selbst die eigenen Mitglieder durch die Genossenschaften nicht mehr erreicht werden, zeigt die Schwierigkeit von Großgenossenschaften Mitglieder für die Vertreterversammlung zu werben. Mitunter sehen sich auch die Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften eher als Mieter, denn als Gesellschafter des genossenschaftlichen Unternehmens und somit als Teilhaber im innergenossenschaftlichen Willensbildungsprozess.

16. Dies allein dem rationalen Desinteresse der Genossen zuzuschreiben, die ihr Zeitbudget nicht durch genossenschaftliches Engagement schmäler möchten, erscheint zu einfach. Mitunter lässt auch das Interesse der Organwalter in Vorstand und Aufsichtsrat an der Einbindung und Motivation der Mitglieder zu wünschen übrig So wird das genossenschaftliche Bewusstsein durch die im Vordergrund stehenden „unternehmerischen Belange“ verdrängt.

17. Verliert die Genossenschaft, dass ihr Eigene, wird sie zu einem Unternehmen, wie jedes andere auch, so beraubt sie sich den Grundlagen ihrer Existenz, wird, um es deutlich zu sagen: überflüssig. Als kooperativ strukturiertes Unternehmen setzt die Genossenschaft als Bedingung ihrer Möglichkeiten die Partizipationsbereitschaft aller voraus, der Organwalter in Vorstand und Aufsichtsrat sowie der Mitglieder.

18. Zwar ist – soweit es den Grundsatz der Satzungsstrenge betrifft- der Gesetzgeber gefordert, doch bietet sich auch nach geltendem Recht bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten der Einbindung der Mitglieder an; hier ist neben gestalterischer Phantasie vor allem der Wille gefordert, in den Grenzen des unternehmerisch Möglichen, Genossenschaft zu leben und wiederzubeleben.

Daraus ist zu schließen, dass es in vielen Genossenschaften ein Demokratiedefizit gibt. Insbesondere sind solche Fragen wie die wirkliche Mitbestimmung der Mitglieder nicht geregelt. Gibt es in einer Genossenschaft eine Vertreterversammlung, stellt sich die Frage, was und welche Meinung vertreten die Vertreter? Ihre eigene? Oder die der Mitglieder, ihrem Wahlvolk?

Wenn das letztere praktiziert werden würde, müssten auch „Mitgliederversammlungen“ im Wahlkreis/Wahlbezirk, wie auch immer man den Bereich für die Vertreter bezeichnen will, durchgeführt werden. Die Vertreter sind eigentlich dazu veranlasst die Mitglieder ständig zu informieren bzw. auch deren Meinungen, Auffassungen, Hinweise und Vorschläge hinsichtlich des genossenschaftlichen Lebens aufzugreifen. Wichtig sind insbesondere der Meinungsaustausch zum Stand der Wirtschaftlichkeit in der Genossenschaft und zu größeren Investitionen oder wie in Berlin zum Thema Mietendeckel. Wenn das so wäre, würden sich eine Reihe von Vorständen der Wohnungsbaugenossenschaften nicht erlauben die Auffassungen der privaten Immobilienwirtschaft und des Dachverbandes BBU zu unterstützen. 

Genossenschaftliche Demokratie bedeutet auch, dass zu den Vertreterwahlen, entsprechende Wahlversammlungen stattfinden sollten, wo sich die Vertreter den Mitgliedern vorstellen, ihre Auffassung zur genossenschaftlichen Arbeit erläutern und somit Rede und Antwort stehen. Nur so können die Mitglieder auch entscheiden, wen sie wählen, wen sie vertrauen. Außerdem sollte es zwingend sein, dass für jeden Vertreter auch ein Ersatzvertreter gewählt wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kontrolle der Einhaltung der Satzung durch die Gremien. Das ist offen und nicht geregelt. Was kann man tun, wenn Vorstand, Aufsichtsrat (AR) und auch die Vertreter innerhalb der Vertreterversammlung Paragraphen der Satzung nicht einhalten? Wer überwacht das? Können Mitglieder das reklamieren? Wenn ja, wo? Eine Reklamation zur Einhaltung der Satzungsparagraphen bei denen, die selbige nicht einhalten ist sicher schwierig. Normaler Weise würde jetzt der Gesetzgeber auf den Prüfverband verweisen. Und da fängt ein Hauptproblem an. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, wissen die Prüfverbände um die Defizite. Die werden aber unter dem Teppich gehalten und das hat seine Gründe. Z. B. nehmen die Prüfverbände immer mehr Einfluss auf die Personalpolitik durch Vermittlung von Vorständen. Werden in den Vertreterversammlungen ökonomisch falsche Zusammenhänge durch teilweise Unwissenheit von Vertretern diskutiert, greifen die anwesenden Vertreter des Prüfverbandes nicht ein, selbst erlebt und alles schriftlich in Niederschriften der Vollverammlung festgehalten. 

Gerade für die Wohnungsgenossenschaft müsste ein völlig neuer Prüfverband /Interessens verband, losgelöst von den anderen privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen, gegründet werden.

Als letztes möchte ich noch hervorheben, dass die Vorstände oder die entsprechende Abteilung Wohnungsvergabe in einer Genossenschaft bei Bewerbungen um eine Wohnung der Genossenschaft, die Besonderheit einer Mitgliedschaft in einer Genossenschaft hervorheben. Dazu bedarf es aber notwendiger Schulungen der entsprechenden Mitarbeiter zum Genossenschaftswesen. Die Mitarbeiter einer Genossenschaft sollten grundsätzlich, sowie z.B. zu Arbeitsschutzbestimmungen, regelmäßig über den Inhalt, was bedeutet eine Genossenschaft, geschult werden. Leider erlebt man immer wieder, dass die Mitarbeiter der Genossenschaft die Mitglieder nicht als Eigentümer sehen, sondern mehr als Bittsteller. Das kann nicht sein.

Sicher gibt noch viele weitere Gedanken das genossenschaftliche Leben zu demokratisieren, um ein wirkliches gemeinschaftliches Miteinander zu erreichen. Eine Genossenschaft ist etwas Besonderes, das muss bewahrt und ständig verbessert werden zum Wohl der Mitglieder.

Ein Gastbeitrag von Bernd Landgraf:   Initiative Genossenschaft von unten Sektion „Neue Bundesländer“

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