Bullay, den 26.07.2023/igenos. Das genossenschaftliche Verbandswesen in Deutschland ist wie eine Pyramide aufgebaut. An der Spitze steht der gemeinsame Ausschuss der genossenschaftlichen Spitzenverbände als oberster Lobbyverband. Direkt darunter sind die genossenschaftlichen Spitzenverbände DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband) und der GdW (Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) angesiedelt. Eine Ebene darunter befinden sich die Dach- und Fachverbände, namentlich der BVR (Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken e.V.), der Deutsche Raiffeisenverband e.V., der Mittelstandsverband e.V. und der Zentralverband der Konsumgenossenschaften ZdK e.V..  Auf der untersten  Ebene stehen derzeit noch vier DGRV-Prüfungsverbände und deren ausgegliederte Dienstleister, die als eigenständige Profitcenter tätig sind. Zusätzlich gibt es noch mehr fünfzehn weitere kleinere Prüfungsverbände, die nicht zwingend der DGRV-Struktur angehören. Das erklärt auch warum warum das Genossenschaftswesen in Deutschland durch die widersprüchlichen Interessen der Verwaltungs- und Mitgliederebene geprägt wird. Deutschland hat eine staatlich bevollmächtigte und personell stark ausgebaute Selbstverwaltungsorganisation, die sich von den Prinzipien der internationalen Genossenschaftsbewegung durch das sogenannte Führerprinzip bzw. eine „Top-down“-Struktur unterscheidet. Letztlich stellen sich die Selbstverwaltungsorgane über die Mitglieder und deren Interessen und die Kontrollorgane in den Verbänden übernehmen Steuerungsfunktionen. Kurioserweise setzen sich die Genossenschaftsverbände ausdrücklich nicht für die Rechte der Genossenschaftsmitglieder ein.

Die Ursprünge des deutschen Genossenschaftswesens liegen im 19. Jahrhundert. Nachdem das Preußische Genossenschaftsgesetz 1867 in Kraft gesetzt war, wurde am 23. März 1889 der Schutz der  Genossenschaftsmitglieder und ihrer Gläubiger ausführlich im Reichstag diskutiert. Man wollte Antworten auf Probleme mit der Mitgliederhaftung finden und kriminellen Aktivitäten oder der Unfähigkeit einzelner Genossenschaftsorgane begegnen. Zu dieser Zeit wurden Genossenschaften von Personen ohne Ausbildung, allein mit der Befähigung, Schreiben und Rechnen zu können, geleitet. Das führte zu besonderen Abhängigkeiten. Bei der Neufassung des Genossenschaftsgesetzes 1889 im Rahmen der Gründung des Deutschen Reichs wurde daher das genossenschaftliche Prüfungswesen offiziell eingeführt. Es diente dem Schutz der Mitglieder und der Gläubiger. Die ordnungsgemäße Geschäftsführung der Genossenschaften wurde durch eine externe Prüfung sichergestellt.

Mit der im Rahmen der Ermächtigungsgesetze ohne Parlamentsbeschluss verabschiedeten Gesetzesnovelle von 1934, wurde das genossenschaftliche Verbandswesen gestärkt und in die staatliche Wirtschaftsplanung einbezogen. Gegenüber den besonders ungeliebten „roten Konsumgenossenschaften“ wurden erstmals negative Prüfungstestate eingesetzt, um Druck auf die Genossenschaft und deren Organe auszuüben.  Den Genossenschaftsverbänden wurde ein staatliches  Prüfungsmonopol verliehen, gleichzeitig wurde die Pflichtprüfung der Genossenschaften durch die Verbände gesetzlich verankert (§ 55 GenG).  Dazu wurde die Zwangsmitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband (§ 54 GenG) bindend und das bis heute bevorzugte genossenschaftlich-hierarchische Führerprinzip  eingeführt. Das geschah lautlos u.a. mit Hilfe des § 43 GenG, der dem Vorstand die Einberufung der Generalversammlung überträgt. Das Prinzip der Selbstverwaltungsorganisation bestand nun daraus, dass die Genossenschaft als Leistungsempfänger die genossenschaftlichen Verbände als Leistungserbringer finanziert. Dieses System hat bis heute Bestand.

Auch die bis heute noch weit verbreitete Annahme, wonach sich das deutsche Genossenschaftsgesetz auch mit am Gemeinwohl orientierten Unternehmen befasst, oder die Annahme, Genossenschaften seien gemeinnützig, stammt ursprünglich aus der NS Zeit.
Im Rahmen der Gleichschaltung der Wirtschaft erfolgte die Kehrtwende. Das Genossenschaftswesen in Deutschland wird daher durch widersprüchliche Interessen der Verwaltungs- und Mitgliederebene geprägt. Deutschland hat eine staatlich bevollmächtigte und personell stark ausgebaute Selbstverwaltungsorganisation, die sich von den Prinzipien der internationalen Genossenschaftsbewegung durch das sogenannte Führerprinzip bzw. eine „Top-down“-Struktur unterscheidet. Letztlich stellen sich die Selbstverwaltungsorgane über die Mitglieder und deren Interessen und die Kontrollorgane in den Verbänden übernehmen Steuerungsfunktionen. Die Genossenschaftsverbände setzen sich auch heute im Jahr 2023 ausdrücklich nicht für die Rechte der Genossenschaftsmitglieder ein.
Der Autor Gerald Wiegner ist Vorstand von igenos e.V. – igenos ist eine bundesweit tätige Interessenvertretung der Genossenschaftsmitglieder.

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