Genossenschaftliches Grundgerüst in abnormer Schieflage

Göttingen/Jena, 31. Januar 2022 (geno). Deutschlands genossenschaftliches Grundgerüst befindet sich in einer generellen Schieflage. Und das seit 88 Jahren. Wenn sich in einem solchen Zeitraum, der ein ganzes Menschenleben umfasst, nichts an den Grundverhältnissen ändert, kommt dem Betrachter das Bestehende als Normalzustand vor. Um einen solchen handelt es sich in Wirklichkeit aber nicht. Die heutigen Existenzbedingungen verharren seit dem Jahr 1934 in Strukturen, die von den deutschen Nationalsozialisten dem Prinzip der Gleichschaltung unterworfen worden sind. Daran hat sich seit fast neun Jahrzehnten nichts Wesentliches verändert – weder durch den Einfluss der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg noch durch die deutschen Administrationen auf Grundlage des Grundgesetzes oder der DDR-Verfassung. Zwar hat es in der sowjetischen Besatzungszone noch im Jahr 1945 „grünes Licht“ für eine genossenschaftliche Neuformierung gegeben. Aber diese Befehle aus Moskau und Berlin wurden von den deutschen Kommunisten und ihren Verbündeten ignoriert. Sie formulierten genossenschaftliche Grundsätze für Landwirtschaft, Handwerk und Industrie, die zwar die genossenschaftliche Novelle aus dem Jahr 1934 außer Kraft setzten und interessante neue Aspekte in die kooperative Wirtschaft einfügten, allerdings der Selbstverwaltung der Genossenschaften zu viele Fesseln anlegten.

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurden die ostdeutschen Genossenschaften in den alten Regel-Sumpf der 1930er Jahre zurückgeworfen. Sie haben sich nicht dagegen gewehrt und wurden de facto verbogen, missbraucht oder ganz zerstört. Sofern sie das nicht – meist wegen ihres eigenen Unvermögens – verhindern konnten, wird das nun seit 30 Jahren „von oben“ durch Staat und Justiz erzwungen. Auf diesem schlimmen Kurs vollziehen sich höchst schauerliche Ereignisse. Mit manchen werden die Genossenschaftsmitglieder in Serie konfrontiert – wie die stetige Fusionswelle von Genossenschaftsbanken zeigt. Es gibt jedoch auch ganz abschreckende Einzelvorgänge, die das verkorkste bundesdeutsche Genossenschaftssystem regelrecht demaskieren. Eines davon ist die Auflösung einer mehr als 150 Jahre alten, gesund wirtschaftenden Konsumgenossenschaft in Altenburg per Gerichtsbeschluss. Das geschah vor kurzem durch ein Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts Jena. Seltsamerweise hat die juristische Zerschlagung dieser Kooperative keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Für die neuen politisch Herrschenden gibt es also viel zu tun, um das Jahrhunderte alte Genossenschaftswesen Deutschlands wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen. ++ (gr/mgn/31.01.22 – 021)

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