Das Führerprinzip

Genossenschaftlicher Anschlusszwang als nationalsozialistisches Kontinuum entlarvt

Berlin, 5. Juni 2020 (geno). „Das deutsche Genossenschaftswesen hat sich niemals mit seiner Verstrickung in die nationalsozialistische Diktatur auseinandergesetzt.“ So kennzeichnen die Vorstände der Zentralkonsum eG, Martin Bergner und Andreas Bosse, eine höchst bemerkenswerte und tiefschürfende Analyse über den Gleichschaltungsprozess der Genossenschaften unter der Regie Adolf Hitlers und seiner Kumpanen. In einem Begleitschreiben zu dem jetzt unter der Schirmherrschaft ihrer Genossenschaft erschienenen Buch fordern die beiden Vorstände zu einer längst überfälligen offenen, vorurteilsfreien Diskussion und Aufarbeitung auf.

Autor der Untersuchung unter dem Titel „Die Überwältigung„, mit der der genossenschaftliche Anschlusszwang als fast neun Jahrzehnte währendes nationalsozialistisches Kontinuum entlarvt wird, ist Wilhelm Kaltenborn. Die Schrift beweist in überzeugender Weise, wie schockierend unbeschadet und völlig unbeeinträchtigt juristische, soziale und faschistoide Praktiken aus dem „Dritten Reich“ in die Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland hinübergerettet wurden und hier geradezu schrankenlos weitergeführt werden. Der Anschlusszwang sei konstitutiver Teil der Eingliederung von Genossenschaften und Verbänden in das nationalsozialistische Herrschaftssystem gewesen. Dazu schreibt Kaltenborn: „Nach 1945 waren teilweise dieselben handelnden Personen in den Verbänden tätig. Aber auch Vertreter der Rechtswissenschaft, die diese Entwicklung von 1933 bis 1945 gestützt und gefördert hatten, beeinflussten weiterhin das Genossenschaftswesen und die Genossenschaftswissenschaft. Beispielhaft sei hier Johannes Lang genannt. Sie verhinderten Anfang der fünfziger Jahre die vom Bundesjustizministerium bereits vorbereitete Aufhebung des gesetzlichen Anschlusszwangs.“

Im Jahr 1962 legte dieses Ministerium dann den Referentenentwurf eines neuen Genossenschaftsgesetzes vor. Danach sollten der „Wirkungskreis“ der Prüfungsverbände und der Spitzenverbände eingeschränkt, der Anschlusszwang an diese Vereinigungen abgeschafft werden.

Die konkreten Umstände beschreibt der Genossenschaftsexperte Kaltenborn am Schluss seiner außerordentlich aufklärerischen Schrift ausführlich und konstatiert kurz und knapp: Die vier genossenschaftlichen Spitzenverbände lehnten den Entwurf ab und sie setzten sich durch. So gilt der Anschlusszwang noch heute.

Dass die bundesdeutsche Justiz dem gnadenlos folgt, zeigt ein Beschluss des Amtsgerichts Jena, der vom Landgericht Gera im ersten Quartal dieses Jahres bestätigt wurde. Damit wird die Konsumgenossenschaft Altenburg und Umgebung eG, die seit anderthalb Jahrhunderten existiert und sich diesem Anschlusszwang nicht unterwerfen wollte, aufgelöst. „Ein später Sieg des Reichsbauernführers und des Reichskommissars für das Bankgewerbe“, schlussfolgert Kaltenborn abschließend höchst besorgt und voller Sarkasmus. ++ (hi/mgn/05.06.20 – 087)

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