Montabaur, 4. April 2019 (geno). Können Genossenschaften den „Dritten Weg“ zwischen entfesselter Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft entscheidend ebnen. Das ist eine der zentralen Fragen, die von der Genossenschaftsforschung energisch und zielstrebig untersucht werden sollte.
Das empfiehlt der neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft, Dr. Ralf Kölbach, in einem Interview mit der Redaktion GenoNachrichten. Dabei sei den Wissenschaftlern ans Herz zu legen, die alte und zugleich junge Genossenschaftsidee in unterschiedlichen Disziplinen zu erkunden und aus jeweils anderen Blickwinkeln zu betrachten.
Speziell zu der auf den Genossenschaftspionier Friedrich Wilhelm Raiffeisen zugeschnittenen Forschung wünscht sich Kölbach eine Konzentration auf regionale Aspekte. „Raiffeisen als Regionalentwickler“ aus volkswirtschaftlicher Perspektive sei sehr interessant. Raiffeisen habe sich intensiv mit regionaler Infrastruktur befasst, habe immer wieder pragmatisch die zentralen Handlungsbedarfe in seiner Region gesucht und gefunden. Diese Sichtweise sei faszinierend und sehr lehrreich, um seine Intentionen zu verstehen. Insofern ist der wissenschaftliche und praktische Fundus, den das Wirken dieses – neben Hermann Schulze-Delitzsch – wichtigsten deutschen Genossenschaftspioniers längst nicht ausgeschöpft.
Das nun zurückliegende Raiffeisen-Jubiläumsjahr 2018 hat nach Aussage von Kölbach, der auch Vorstand der Westwaldbank eG ist, zunächst für eine sehr hohe öffentliche Aufmerksamkeit sowohl für den Menschen wie auch seine Idee gesorgt.
Raiffeisen und die Genossenschaftsidee seien sehr präsent in allen Kommunikationskanälen gewesen. Man habe zeigen können, wie stark die Genossenschaftsidee in Deutschland, aber auch weltweit, mittlerweile verbreitet ist. Sie sei die Grundlage für kooperatives Handeln in unterschiedlichen Bereichen. Damit zeige sie ihre Flexibilität und Zukunftsfähigkeit. Für die künftige Arbeit der Raiffeisen-Gesellschaft bedeute das, auf diesem Erbe aufzubauen, es in die Gegenwart und Zukunft zu transformieren. „Es geht darum, die Ideen nicht einfach am Leben zu erhalten, sondern vielmehr, sie auf die konkreten Themenfelder unserer Gesellschaft anzuwenden. Hierbei kann und will unsere Gesellschaft Ansprechpartner, Befähiger, Unterstützer sein“, erklärt Kölbach. Das Handeln des neugewählten Vorstands richte sich auf drei Schwerpunkte. Zunächst müsste die Jugend dauerhaft eingebunden werden. Nur wenn junge Menschen für die Idee begeistert werden, sei die Zukunft genossenschaftlich zu gestalten. Der Jugend könne die Genossenschaftsidee beispielsweise durch den von der Raiffeisen-Gesellschaft jährlich durchgeführten Ideenwettbewerb wirkungsvoll vermittelt werden. Daher nutze die Gesellschaft nun auch viel stärker Social Media, um auf diesem Kommunikationsweg die Jugend besser erreichen zu können. Desweiteren sind Forschung und Wissenschaft kompetente Partner, um die genossenschaftlichen Perspektiven besser zu verstehen und passende Anwendungsfelder zu finden. Schlussendlich benötige der Ausbau des genossenschaftlichen Netzwerks ständiges Engagement.
„Genossenschaft ist Netzwerk. Unsere Gesellschaft möchte sich mit allen vernetzen, die der genossenschaftlichen Idee nahestehen, denn nur Austausch bringt wirklich neue Erkenntnisse“, kündigte Kölbach an. Mittels Genossenschaften und Social Business seien wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle Probleme lösbar. Solidarität zähle zur DNA von beiden Ansätzen. Die Finanzierung der Genossenschaften hänge letztlich davon ab, ob die Mitglieder wirklich dazu bereit sind.
Zu Vorwürfen, Raiffeisen habe antisemitisches Gedankengut vertreten, äußerte sich Kölbach differenziert. Sie resultierten aus dem Kampf Raiffeisens gegen das von ihm so bezeichnete „Wucherertum“, an dem auch Juden beteiligt waren. „Raiffeisens Stellung zum Judentum war jedoch sicher nicht frei von Ressentiments. Darin war er ein Kind seiner Zeit. Ähnliche Diskussionen, auf Basis sehr viel strittigerer Aussagen, wurden und werden auch rund um Karl Marx und Martin Luther geführt“, merkt Kölbach an. Menschen seien immer im Kontext ihrer Zeit zu beurteilen. Raiffeisen sei bemüht gewesen, seine Meinung wissenschaftlich zu fundieren oder ggf. zu korrigieren. Doch die Literatur, die ihm zu Gebote stand, habe dies nicht ermöglicht. „Keinesfalls wird man aber von einem rassischen Antisemitismus Raiffeisens im Sinne des damals aufkommenden und dann im Nationalsozialismus gipfelnden Antisemitismus sprechen dürfen. Die Raiffeisen-Gesellschaft geht offen und aufklärend mit diesem sensiblen Thema um“, bekennt Kölbach abschließend. ++ (rf/mgn/04.04.19 – 069)
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