Genossenschaft von unten

Genossenschaft von unten Gefahr für Vorstände?

Berlin, 6. Dezember 2019 (geno). Die Wohnungsgenossenschaften, die zurzeit zu den günstigsten „Vermietern“ gehören, bekräftigen ihre Kritik an dem Preisdeckel. Das schreibt die „Berliner Zeitung“ am Donnerstag zu dem heftig in Berlin diskutierten, gemeinhin als „Mietendeckel“ bezeichneten Gesetzesvorhaben des Senats. Als neuester Beleg dafür wird das Vorstandsmitglied der Berliner Baugenossenschaft, Jörg Wollenberg, zitiert: „Wir sehen als Genossenschaften einen Eingriff in unsere selbstdemokratischen Verfahren“. Durch die abzusehenden Einnahmeverluste, die zwischen 150 bis 180 Millionen Euro liegen sollen, müssten Investitionen gekürzt und Sanierungen zurückgefahren werden. In bereits sanierten Wohnungen müssten die Mieten reduziert werden. Das sei den Genossenschaftsmitgliedern in nicht-sanierten Wohnungen nicht zu vermitteln.

Aber Wollenberg vermutet eine viel größere Gefahr. „Man will an die Genossenschaften ran“, befürchtet der Vorstand. Wenn Genossenschaftsvorstände von Selbstverwaltung oder selbstdemokratischen Verfahren sprechen, dann beschränken sich diese Aussagen häufig auf das genossenschaftliche Verbandswesen. Eine mehrstufige „Selbstverwaltungs-Organisation“, die durch hohe Anpassungsfähigkeit und enge Vernetzung mit der Politik sogar die neoliberale Privatisierungswelle überstanden hat.

Wenn aber von Mitspracherecht gesprochen wird, dann sollten eigentlich die Mitglieder in ihrer Funktion als Miteigentümer gemeint sein. Es gibt bundesweite Mitgliederinitiativen, in der die Genossenschaftsmitglieder, quasi von unten, die Entscheidungen der verbandshörigen Vorstände und Aufsichtsräte in Frage stellen. Basisdemokratie bedeutet auch, den Einfuss der Genossenschaftsverbände und die Alleingänge der Vorstände deutlich zu begrenzen. In der Konsequenz wollen die „Mieter“ selbst darüber entscheiden, was mit „ihren Wohnungen“ geschieht. Das geht relativ einfach, denn die Genossenschaftsmitglieder sind gleichzeitig auch die Miteigentümer und diese können auch den Aufsichtsrat und den Vorstand absetzen. Und warum eigentlich sollen die Miteigentümer nicht selbst entscheiden, wie es mit ihrer Genossenschaft weitergeht.

Abgesehen davon, dass der Genossenschaftsvorstand mit diesen Äußerungen offensichtlich die aufkeimende innergenossenschaftliche Demokratie als etwas Schlechtes betrachtet, lässt er durchblicken: Irgendwann in früheren Zeiten hat es eine Basisdemokratie in Genossenschaften gegeben. Einzelheiten erläutert er nicht. Dennoch hat er tatsächlich Recht. Vor dem Jahr 1934, als die Genossenschaften von den Nationalsozialisten noch nicht gleichgeschaltet worden waren, durften sie noch als wahre Selbsthilfe- und Selbstverwaltungsorganisationen völlig ohne äußere Einflüsse handeln, entscheiden und wirtschaften. Seit der Hitler’schen Machtergreifung ist das nicht mehr der Fall. Auch in der Nachkriegszeit und bis in die Gegenwart der Bundesrepulik Deutschland hat sich daran nichts geändert. Diese also vor mehr als 75 Jahren herbeigeführte, geradezu erzwungene Perversion des Genossenschaftsgedankens hält bis heute an.
Weltweit werden Genossenschaften erfolgreich von ihren Mitgliedern gesteuert – von unten nach oben. Nur in Deutschland und Österreich herrscht immer noch Ausnahmezustand. Diesen bleiernen Zustand ändern zu wollen, wie es die neue Genossenschaftsbewegung von unten beabsichtigt, macht anscheinend nicht nur Genossenschaftsvorstand Wollenberg große Sorgen. Auch im Bereich der Genossenschaftsbanken entsteht zunehmend Unruhe und Unsicherheit. Die ganze Entwicklung spricht Bände und macht zutiefst nachdenklich.

Was eine Genossenschaft ist und wie eine Genossenschaft funktioniert hat sich auch in Politikerkreisen noch nicht rumgesprochen. Wohnungsgenossenschaften sind weder am Gemeinwohl orientiert und auch nicht gemeinnützig, denn die mit der Gemeinnützigkeit verbundenen Steuervergünstigungen für Wohnungsgenossenschaften wurden durch das Steuerreformgesetz 1990 aufgehoben. Die „neoliberale“ Politik sollte ausdrücklich dazu dienen bestehende Wettbewerbsvorteile gegenüber den nicht steuerbefreiten Wohnungsunternehmen zu beseitigen. Leider ist auch der Begriff Miete nicht korrekt, denn es handelt sich um eine Nutzungsentgelt. Insofern betrifft die politische Debatte eigentlich die Genossen gar nicht. ++ (wg/mgn/06.12.19 – 211)

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