coopgo

Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtform – eine Stellungnahme von igenos e.V.

Bullay/Berlin den 15.08.2023. Mit einem Schreiben vom 5. Juli 2023 informierte das Bundesministerium der Justiz über die Eckpunkte eines Referentenentwurfs zwecks Änderung des Genossenschaftsgesetzes. Bei solchem Vorhaben stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Eignung aus der Sicht von Genossenschaften und deren Eigentümern, also der Mitglieder. Der igenos Arbeitskreis Grundsatzfragen nimmt hierzu aus Mitgliedersicht Stellung.

(1) Eingangs wird in diesem Schreiben auf den Koalitionsvertrag für die aktuelle Legislaturperiode verwiesen, der u. a. vorsieht: „Wir verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften.“ Zur Bekräftigung dieser Verkennung des den Genossenschaften seit eh und je vom Gesetzgeber und letztlich auch von den Mitgliedern erteilten Auftrages wird bekundet: „Genossenschaften sind häufig gemeinwohlorientiert.“ 

Schlimmer geht´s nimmer! Kennt man im Justizministerium nicht das Genossenschaftsgesetz (GenG) und noch weniger, was von Experten über Genossenschaften veröffentlicht wurde? igenos erteilt gerne Nachhilfe: 

Die Unternehmens- und Rechtsform „eingetragene Genossenschaft“ hat in erster Linie mitgliederorientiert zu sein und zu wirken. In § 1 GenG wird unmissverständlich gefordert, die Belange der Mitglieder zu fördern. Gemeinwohlorientierung kommt dort und auch sonst wo im GenG nicht vor. Denn Genossenschaften sind Selbsthilfeeinrichtungen ihrer Nutzer, also ihrer Mitglieder – basta!

Darüber hinaus können Genossenschaften weitere Ziele verfolgen, zum Beispiel das Gemeinwohl der Region, in der sie tätig sind, unterstützen. Das kann und darf aber erkennbar wirklich nur Nebenzweck sein. Weil es sich dabei in aller Regel um finanzielle Zuwendungen u. a. an soziale Einrichtungen im Geschäftsumfeld einer Genossenschaft handelt, stellt sich ab einer gewissen Größenordnung der extern adressierten Wohltaten die Frage, inwieweit diese „Förderung des Gemeinwohls“ zu Lasten der absolut erstrangig vorzunehmenden Mitgliederförderung geht und damit der Tatbestand unterlassener Förderung der Mitglieder erfüllt.

Wenn es in § 27 (1) GenG heißt „Der Vorstand hat die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten“, ist dies für das genossenschaftliche Management kein Freibrief, mit dem vorhandenen Förderpotenzial der Genossenschaft nach Belieben umzugehen, im Extremfall einerseits auf eine Förderung der Mitglieder zu verzichten, jedoch anderseits eine wie auch immer geartete Allgemeinheit zu unterstützen und auf dieser Art in unzulässiger Weise gemeinwohlorientiert zu agieren.

In diesem Kontext erscheinen zwei Aspekte der Erwähnung wert:

  • § 27 (1) führt im zweiten Satz aus: „Er (der Vorstand) hat dabei die Beschränkungen zu beachten, die durch die Satzung festgesetzt worden sind.“ Dort wird die Mitgliederförderung und nichts anderes an Zielen festgelegt, falls es sich um ein zwangfrei verfasstes Statut handelt.
  • Zum anderen ist gemäß § 58 (Prüfungsbericht) GenG dazu Stellung zu nehmen, ob und auf welche Weise die Genossenschaft einen zulässigen Förderzweck verfolgt hat. „Ob“ besagt: Mitgliederförderung soll und muss, wenn möglich, sein!

Daraus ergibt sich: Unter der Voraussetzung, dass die Mitglieder angemessen Förderung erfahren, ist es dem Vorstand erlaubt, und das auch nur sekundär, dem Gemeinwohl zu bedienen. Das sollte freilich mit dem Aufsichtsrat als dem „verlängerten Arm“ der Mitgliederbasis fallweise abgesprochen sein. Schon deshalb, damit kein eigenmächtiges, vom Mitgliederinteresse entferntes Handeln des Vorstandes in puncto Verwendung im Mitgliedergeschäft erwirtschafteter Finanz- und sonstiger Mittel Platz greift.

Diese Binsenweisheiten sollten dem Justizministerium bekannt sein. Es sollte sich auch von in dieser Hinsicht unwissenden Abgeordneten der sog. Ampelregierung nichts anderes einreden lassen, von willfährigen Erfüllungsgehilfen als Lobbyisten der Genossenschaftsverbände  

Es sei auch erwähnt, dass selbst im Kreis der Genossenschaftswissenschaft Kräfte in dieser Richtung agieren und den Genossenschaften einen Gemeinwohlanstrich verpassen möchten. Offenbar weht der Wind aus diesen beiden Richtungen zum Gesetzgeber hin. Fazit: Man befasse sich besser mit dem Kern des Genossenschaftlichen als dubiosen Einflüsterungen zu folgen.

(2) Ein weiteres Ziel soll mit dem Referentenentwurf verfolgt werden: „Förderung der Digitalisierung der Genossenschaften“. Auch diese Absicht löst Befremden aus. Genossenschaften sind Unternehmen, und als solche sollten sie sich im eigenen Interesse auf dem Gebiet der Digitalisierung verantwortlich zeigen und darum kümmern. Wie jedes andere Unternehmen auch. Zumal in einem Land, das im EU-Vergleich auf diesem Gebiet hinterherhinkt. In welcher Form will man nun durch das GenG den Genossenschaften Hilfe zuteilwerden lassen, als seien Genossenschaften Kranke, die es zu heilen gilt.

Neben der herkömmlichen Präsenzform von General- und Vertreterversammlungen soll „auch eine sog. virtuelle Versammlung ausschließlich unter Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel in Betracht“ kommen. Das ist beileibe nichts Neues und wurde coronabedingt in den Jahren 2020 bis 2022 hier und da praktiziert. 

Darin liegt eine Chance, dem notleidenden genossenschaftlichen Demokratieprinzip Geltung zu verschaffen, nachdem immer mehr Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mitgliedern zur Vertreterversammlung übergegangen sind und damit die Mitgliederbasis von der Willensbildung entfernt wurde. 

Mit zunehmender allgemeiner Digitalisierung könnte durch Rückkehr der Generalversammlung die Basisdemokratie frühere Bedeutung erlangen. Auf vorstandshörige Vertreterversammlungen könnte verzichtet werden und an Entscheidungsprozessen interessierte Mitglieder würden wieder daran partizipieren können. Auch der mitgliederkreisinternen Gemeinschaft und Geselligkeit wegen. 

Dieser Sicht wird in den Überlegungen zum Referentenentwurf widersprochen, indem es heißt: „Derzeit gibt es bei Bestehen einer Vertreterversammlung teilweise wenig Interesse bei den „normalen“ Mitgliedern. Die Wahlbeteiligung bei Vertreterwahlen ist zum Teil sehr gering.“ Das mag stimmen, liegt aber daran, dass das von sonstiger Mitwirkung an Entscheidungen entwöhnte Mitglied sich zu einer Wahl von Vertretern genötigt fühlt, aber an als „relevanter“ eingeschätzten Beschlüssen, wie etwa Dividendenausschüttung, nicht beteiligt ist, weil dafür die Vertreterversammlung und nicht eine basisdemokratische Generalversammlung zuständig ist. Und das unter nicht kontrollierbarer, aber allgemein bekannter Beeinflussung durch den Vorstand.

Ferner sind im Referentenentwurf u. a. vorgesehen: Digitaler Beitritt zur Genossenschaft sowie digitale Kündigung der Mitgliedschaft in der Genossenschaft. Was den Erwerb der Mitgliedschaft angeht erscheint es kurios, soll diese „auch z. B. in einer E-Mail oder über eine geeignete Smartphone-App erklärt werden können“ Die eigenhändige Unterschrift kann durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden.

Gewiss ist die Formulierung „digitaler Beitritt“ irreführend. Wird doch der Eindruck erweckt, die Mitgliedschaft würde durch die einseitige Erklärung beitrittswilliger Personen bzw. Haushalte erworben. So läuft das nicht. Über die Zulassung des Beitritts entscheidet nach wie vor die Genossenschaft, d. h. in der Regel der Vorstand. Erst durch das Vorliegen beider Willenserklärungen wird man Mitglied.

Anders verhält es sich mit der digitalen Kündigung: Wer austreten möchte kann nicht festgehalten werden. Dass auf diese eigentlich selbstverständliche und seit mehr als hundert Jahren korrekte Vorgehensweise hinzuweisen ist, muss befremden.

Zum Schluss: Bei Änderungen des GenG bis einschließlich des 20. Jahrhundert waren prominente, das Lehr- und Forschungsfach Genossenschaftswesen unterrichtende Professoren damit beauftragt, sich intensiv mit dem zu befassen, was an Änderungen des GenG sinnvoll und genossenschaftskonform schien. Der Wissenschaft war vom Gesetzgeber eine Beratungsfunktion des Gesetzgebers zugewiesen. Seither haben die Genossenschaftsverbände sich dieser Rolle bemächtigt. Und seitdem läuft, auch über Änderungen im GenG hinaus, einiges in die nicht  genossenschaftsgemäße Richtung. Es ist darum an der Zeit für eine europäische Gesetzesinitiative.

Bundesministerium der Justiz, Gemeinwohl orientierte Unternehmen, igenos e.V.
Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

2 Kommentare.

  • Gerald Wiegner
    25. August 2023 22:35

    Vielen Dank für Ihre kritischen Worte.
Die WirMarkt eG war eine von mehreren igenos Testanlagen. Wir wollten mittels einer  “teilnehmenden Beobachtung” herausfinden, wie  Genossenschaft funktioniert  und warum die Rechtsform Genossenschaft in Deutschland niemanden mehr so richtig begeistert. Besonders interessierte uns die Funktionsweise der genossenschaftlichen Selbstverwaltung, also ein Blick hinter die Kulissen. 
Für die Satzungsänderung der CoopGo Consulting bin ich nicht verantwortlich.
    Eine „Gemeinwohlorientierung“, die ich persönlich grundsätzlich begrüße, ist im GenG nicht vorgesehen. Es wurde in der Vergangenheit allerdings immer wieder versucht die gesetzlich vorgeschriebene Mitgliederförderung neu zu definieren. Hier diente das Gemeinwohl häufig als Deckmäntelchen. Wenn eine direkte Mitgliederförderung nicht mehr stattfinden kann, schaffen kreative Auftragsforscher neue „Förderwelten“ – z.B. die indirekte Mitgliederförderung, die sich in der Förderbilanz widerspiegelt oder die Ballade vom Member Value.

  • Herr Wiegner, ihre Kritik an „Gemeinwohlorientiert“ ist doppelzüngig. Am 2.8.2021 haben sie als Vorstand und Mitglied der CoopGo.Consulting eG (ehem. Wirkmarkt eG) eine Satzungsänderung zur „gemeinwohlorientierten Genossenschaft“ vorgeschlagen und beschlossen.

Kommentare sind geschlossen.