Die Verfremdung der Genossenschaftsidee

Bullay, 17.01.2023 (igenos)Ist die Rechtsform Genossenschaft überhaupt geeignet den Anforderungen an das Bankgeschäfts nachzukommen? Vor diesem Hintergrund befassen sich  die GenoNachrichten in den kommenden 12 Beiträgen mit der Verfremdungen der Genossenschaftsidee. Wir zitieren Auszüge aus einem igenos Arbeitspapier der der interdisziplinären Arbeitsgruppe Geno-Grundsatzfragen. 

Es zeigt sich auch heute im Jahr 2023,  dass die Verfremdung von Genossenschaften zu einem wesentlichen Teil begründet liegt in der Tendenz zur Großgenossenschaft, mangelndem Genossenschaftsbewusstsein auf der Führungsebene und im Mitgliederkreis, wachsender Verselbständigung des Genossen­schaftsunternehmens und nachlassender Mitgliederorientierung der Genossenschaft, abneh­mender Genossenschaftsorientierung der Mitglieder, Identitätsschwund durch zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Mitgliedschaft und Lockerung der Beziehungen zwischen den Mitgliedern. Damit befindet sich das Leitbild der genossenschaftlichen Rechtsform seit geraumer Zeit auf dem Weg der „Entgenossenschaftlichung“ (1) – ein Befund, der nicht zu übersehen ist und bedenklich stimmen muss.

Man fragt sich, wie viele und welche Modifikationen die genossenschaftliche Unternehmensform verträgt und ob dort, wo das Genossenschaftliche in einen Auflösungsprozess geraten ist, Einsicht und Absicht vorhanden sind, diesen Zustand zu ändern, indem einerseits arteigene, als Elemente eines strategischen Differenzierungskonzepts bewährte Wesenselemente gestärkt und anderer­seits neue Entwicklungen adoptiert werden, die Markt- und Fördererfolg versprechen. Das würde den betreffenden Genossenschaften neben geeigneter Marktgestaltung und betriebswirt­schaftlicher Effizienz abverlangen: Hervorhebung alles dessen, was Identität schafft, nämlich
u. a. die nicht imitierbaren Mitgliedschaft, zeitgemäße genossenschaftliche Werte und den mitgliederbezogenen Förderanspruch.[2] Aller Voraussicht nach dürfte die „genossenschaftliche Rechtsform (..) nur dann ihre Zukunft haben, wenn (…) vor allem jene ihrer Wurzeln immer wieder freigelegt werden, die für die Rechtsform der Genossenschaft identitätsbegründend sind.“[3] Andernfalls ist ihre Glaubwürdigkeit, ja ihre Existenzberechtigung kaum vorstellbar.

Durch Nähe zum Mitglied Systemvertrauen aufzubauen, den „kulturellen Kern“ zu bewahren und Anziehungskraft zu entwickeln, um nötigenfalls eine Rückbindung an die Mitglieder in Gang zu setzen, sollte im Grunde ein selbstverständliches Anliegen sein. Ohne Mitgliederzentriertheit verlieren die Existenz und die Wirtschaftsbetätigung genossenschaftlicher Unternehmen ihren Sinn. Mitglieder, in deren Wahrnehmung die Genossenschaft sie als zentralen Bezugspunkt mehr oder weniger aus den Augen verloren hat, werden sich kaum mit ihr verbunden fühlen oder motiviert sein, sich als Dauerkunde an den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu binden und sich in der Selbstverwaltung zu engagieren.Häufig wird eine Vernachlässigung des konstitu­tiven Elementes „Mitgliedschaft“ zum Ausgangspunkt für einen umfassenderen Konturverlust.

(c) igenos Arbeitskreis: Grundsatzfragen / genoleaks.de

Quellenangaben: 

(1)  Vgl. Rolf Steding: Reflektionen über die genossenschaftliche Rechtsform unter marktwirtschaftlichen Bedingun­gen, Berliner Beiträge zum Genossenschaftswesen 10, Veröffentlichungen des Instituts für Genossenschafts­wesen an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1993, S. 41.

(2)Vgl. Berthold Eichwald: Ernüchterung im Investmentbanking und Virtual Banking: Chancen für Genossenschafts­banken?, in: Manfred Neumann/Berthold Eichwald: Genossenschaftsbanken im Wettbewerb, Veranstaltungen 21 des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg 2003, S. 23 f. (19-27)

(3). Vgl. Wilhelm Jäger: Die Selbstverwaltung als Typen bestimmendes Merkmal. Zur Frage einer Modernisierung des Genossenschaftsgesetzes, in: ZfgG Bd. 51 (2001), S. 145 und 147

Genossenschaften, Identitätskrise, Mitgliederförderung
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