Meinungsfreiheit und Demokratie in großen Wohnungsgenossenschaften

Berliner Gericht bestätigt: Meinungsverschiedenheiten sind Bestandteil der genossenschaftlichen Entscheidungsfindung. Meinungsfreiheit ist naturgemäß ein Bestandteil der genossenschaftlichen Demokratie.
Aktive und kritische Mitglieder in größeren Wohnungsgenossenschaften kennen das Problem. Die Vorstände werden nicht gewählt, sondern vom Aufsichtsrat eingesetzt, obwohl das Genossenschaftsgesetz es prinzipiell fordert. Der § 27 des Genossenschaftsgesetzes legt darüber hinaus fest

„Der Vorstand hat die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten.“ In der Praxis versagt er damit weitestgehend die Mitentscheidung der gewählten Vertreter.

Daraus resultieren Demokratiedefizite, die aktive und kritische Genossenschaftsmitglieder zu Recht kritisieren. Sehr schnell geraten solche verantwortungsbewusst handelnden Mitglieder in den Ruf, genossenschaftsschädigend zu handeln oder den genossenschaftlichen Frieden zu stören.

So kam es auch zu einer Klage zweier als genossenschaftliche Multifunktionäre agierenden Vertreter (Kläger) gegen ein aktives, Demokratie einforderndes, Genossenschaftsmitglied (Beklagter) der WBG Zentrum, einer großen Berliner Wohnungsgenossenschaft. Gegenstand der Klage war „die Unterlassung wahrheitswidriger Aussagen und übler Nachrede“.

Am 11. August 2021 fand eine Güteverhandlung vor dem Amtsgericht Berlin statt. In der Verhandlung wurden alle Anschuldigungen durch den Richter als sachlich falsch und von der Meinungsfreiheit gedeckt festgestellt.

Der Richter machte wiederholt u.a. darauf aufmerksam, 

– dass es zwischen Vorstand, Aufsichtsrat, Vertretern und Mitgliedern zu einem breiteren innergenossenschaftlichen Meinungsaustausch kommen muss, 

– dass die Vorschläge von Vertretern und Mitgliedern in der Vertreterversammlung erörtert werden sollten,

– dass Meinungsfreiheit auch beinhaltet, eine falsche Aussage zu machen und Wertungen treffen zu dürfen, 

– dass auch über den Einsatz von Personen in Funktionen spekuliert werden darf.

Dazu gehört auch das Recht, mit anderen Vertretern und Mitgliedern mündlich und schriftlich kommunizieren zu dürfen.

Letztendlich brach das Klagegerüst kläglich in sich zusammen und die Kläger und deren Anwalt  zogen ihre Klage zurück.

Das Ergebnis dieser Verhandlung sollte alle aktiven Mitglieder und Vertreter ermutigen, vom Recht der freien Meinungsäußerung in der Genossenschaft Gebrauch zu machen und die Demokratisierung weiter voranzutreiben. Dazu passt auch ein Hinweis von Prof. Dr. Keßler vom November 2018: es „bietet sich auch nach geltendem Recht bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten der Einbindung der Mitglieder an; hier ist neben der gestalterischen Phantasie vor allem der Wille gefordert, in den Grenzen des unternehmerisch Möglichen, Genossenschaft zu leben und wiederzubeleben“. Autor Manne: Initiative Genossenschaft von unten, Berlin

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2 Kommentare.

  • Es ist doch spannend, wie schnell hier einer reagiert. Aus meiner Sicht kann das nur eine Person aus dem Umfeld der Verbände sein, der die GenoNachrichten ständig im Auge hat, um die dortigen Meinungen zu diskreditieren.
    Oder einer aus dem Umfeld der beiden Kläger, die das Ergebnis herunterspielen wollen.

    Denn der Beitrag selber verweist mehrfach auf die Probleme innerhalb der Genossenschaft und wer bei der Verhandlung dabei war, konnte das Unverständnis des Richters, was die Kommunikation innerhalb der Genossenschaft betrifft, deutlich zur Kenntnis nehmen und die damit zusammenhängenden Demokratie- Defizite.
    Da der Kommentarschreiber nicht anwesend war und sich nur auf den Beitrag beziehen kann, sind seine Rückschlüsse schon sehr merkwürdig. Aber wie wir aus der Verhandlung gelernt haben, kann jeder, wie in diesem Fall, auch Blödsinn verbreiten, oder „heiße Luft“, passt dann zum Kommentarschreiber.

  • Nun macht mal dieses Verfahren nicht zu einem um die genossenschaftliche Demokratie. Es war eines von hunderttausenden zivilrechtlichen Verfahren, die jährlich in diesem Land vor Amtsgerichten stattfinden. Drei Personen standen sich vor dem Amtsgericht gegenüber. Nicht mehr und nicht weniger. Die Genossenschaft als Institution war nicht involviert. Die Kläger haben ihre Klage zurückgezogen. So wie das auch in zigtausenden anderen Verfahren so erfolgt. Punkt. Mit der WBG oder der genossenschaftlichen Demokratie hat das nichts zu tun.

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