Genossenschaft leben – Wie wird der Förderauftrag umgesetzt?

Delitzsch 4. April 2019. Das 24.Delitzscher Gespräch befasste sich mit dem genossenschaftlichen Förderauftrag: mit einem zentralen Thema, denn der Förderauftrag (*) unterscheidet die Genossenschaft von jeder anderen Rechtsform.

Durch die Veranstaltung führte Verbandsdirektor Dr. Axel Viehweger. Als ehemaliger Bauminister der letzten DDR-Regierung verfügt Viehweger 
über ausreichende Erfahrung in Sachen Basisdemokratie,  und diese war auch notwendig.  Mehr als 10% der  Veranstaltungsteilnehmer  kamen aus dem direkten Umfeld  der coopgo / „Genossenschaft von unten“  Bewegung.
Eine Teilnahme  an der  Podiumsdiskussion wurde den igenos-Mitgliedern allerdings verwehrt. 
 
Das Vortragsprogramm war interessant und vielschichtig. Referent Franz Reischl, Direktor und geschäftsführender Vorstand der BÄKO Österreich, erläuterte sehr glaubwürdig die Vorteile der Einkaufsgenossenschaft. Die breite Palette der Mitgliederförderung beginnt mit der Warenbeschaffung, dem Vertragsanbau von Bio Getreide, der Qualitätskontrolle, Schulung, persönlichen Betreuung, sowie der Finanzierung mit einer Garantie der Rückabwicklung. Das umfassende Förderprogramm wird durch einen starken Markenauftritt und einer genossenschaftlichen Rückvergütung abgerundet.  So funktioniert Genossenschaft.
 
Auch das von Vorstand Sven Viehrig vorgestellte “Döbelner Modell” ist ein Beweis, dass Mitgliederförderung keine leere Worthülse seien muss. Eine Genossenschaft ist immer das, was ihre Mitglieder daraus machen. 

Frau Prof. Dr. Theresia Theurl blickte in die Zukunft und erläuterte das Konzept der Platform Cooperative. Genossenschaftlich organisierte digitale
Marktplätze werden weltweit als Alternative und Nachfolger der kapitalistisch geprägten “Sharing Economy” gesehen.  Theurl folgte damit den Thesen von Trebor Scholz, dessen Grundlagenforschung die boomende Platform Szene auch in Deutschland prägt. Das Thema Mitgliederförderung wurde von Theurl elegant umschifft und auf den Member Value reduziert. Thema verfehlt – schade.

Das Zukunftsmodell der BVR Genossenschaftsbanken wurde von Wolfgang Altmüller präsentiert. Anscheinend versteht sich die VR meine Raiffeisenbank eG Altötting als Vorreiter einer, wie auch immer definierten, “Gemeinwohlökonomie“. Seine Genossenschaft zahlt keine Dividende und fördert stattdessen das lokale Vereinswesen und die Region. Altmüllers Vortrag zeigte deutlich, wo die Reise hingeht und was aus seiner Sicht heute unter zeitgemäßer genossenschaftlicher Förderung zu verstehen ist.

Gleichzeitig wächst die VR meine Raiffeisenbank eG Altötting durch eine expansive Fusionspolitik und erweitert somit ihr Einzugsgebiet. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Aussagen zur gelebten Kundennähe allerdings ein wenig konstruiert. 
Durchaus glaubwürdiger war Altmüllers Aussage. ” Wir verfügen über genug Kapital”. Die Geschäftsguthaben der Mitglieder spielen bei der Finanzierung schon lange keine Rolle mehr. Die Frage, wo das Kapital herkommt, wurde nicht angesprochen. 

Mit anderen Worten: die Fusionspolitik dient zur genossenschaftlichen Kapitalakkumulation und der Genossenschaftsanteil dient nur als Alibi, um die vielfältigen Vorteile der Rechtsform zu nutzen. Ohne Genossen keine Genossenschaft. 

Genossenschaftsmitglieder sind nicht mit Aktionären zu vergleichen, denn Genossen haben keinen Anspruch auf den Wertzuwachs ihrer Genossenschaft. Als Gegenleistung besteht ein Anspruch auf Förderung. 

Zurück zum Veranstaltungsthema „Genossenschaft leben – wie wird der Förderauftrag umgesetzt?“ Diese zentrale Frage wurde weder von der Genossenschaftswissenschaft noch von dem Vertreter der Genossenschaftsbanken hinreichend beantwortet. 

Im Gegenteil “Die Mitgliederförderung soll sich schon aus der Existenz der Genossenschaft ergeben” so eine provozierende Feststellung eines führenden Verbandsfunktionärs. 
Gerald Wiegner Vorstand igenos e.V.

(*) Anmerkung der Redaktion: Die Pflicht des Prüfungsverbands im neuen § 58 Absatz 1 Satz 3, im Prüfungsbericht zur Einhaltung des Förderzwecks Stellung zu nehmen, dient der Transparenz. Der Förderzweck stellt das charakteristische Merkmal der Rechtsform der Genossenschaft dar. Vorstand, Aufsichtsrat und die übrigen Genossenschaftsmitglieder sollen frühzeitig gewarnt werden, falls sich eine Genossenschaft von ihrem Förderzweck entfernt. Der Fall, dass eine Genossenschaft keinen oder keinen zulässigen Förderzweck mehr verfolgt, ist kann aber sehr gravierende Folgen haben: Gemäß § 81 GenG kann die Genossenschaft aufgelöst werden. Zum vollständigen Beitrag der Genonachrichten vom 21.November 2018.

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1 Kommentar.

  • Friedrich P.
    11. April 2019 17:53

    Herr Altmüller legte in seinem Vortrag auch dar, dass die VR meine Raiffeisenbank Altötting eG seit dem Jahr 2009 zu Gunsten der Region und der Allgemeinheit auf die Zahlung von Dividende verzichtet. Dies wirkte sich nach der Fusion mit der Raiffeisenbank Burghausen-Mühldorf eG im Jahr 2015 auf deren Mitglieder ebenso aus, wie auf die Mitglieder der Raiffeisenbank Trostberg-Traunreut eG, die im Jahr 2017 ihr Vermögen ebenfalls auf die VR meine Raiffeisenbank eG übertrug.
    Im Jahr 2009 hatten sich der VR meine Raiffeisenbank eG, Altötting 25.984 Mitglieder angeschlossen Die Höhe der einbezahlten Geschäftsguthaben betrug damals 11.669.916,00 €. Die in der Bank angesammelten Rücklagen betrugen damals 71.394.000,00 €. Die berechnete Relation von Rücklagen zu Geschäftsguthaben betrug damals das 6,12 fache.
    Bis Ende des Jahres 2014 schaffte es Herr Altmüller, die Zahl der Mitglieder auf 27.164 zu steigern, jedoch die eingezahlten Geschäftsguthaben um mehr als die Hälfte auf 5.344.790,00 € zu verringerten. Die aus nicht ausgeschütteten Gewinnen stammenden Rücklagen nebst dem Fonds für allgemeine Bankrisiken erhöhten sich dagegen im gleichen Zeitraum um mehr als das Drei-fache auf 218.670.000,00 €. Die berechnete Relation von Rücklagen zu Geschäftsguthaben betrug nun das 40,92 fache und hatte sich gegenüber 2009 fast versiebenfacht.
    Im Jahr 2015 erfolgte die Übernahme der Raiffeisenbank Burghausen Mühldorf eG. Übertragen wurde das gesamte Vermögen der Raiffeisenbank Burghausen –Mühldorf eG sowie deren Rücklagen in Höhe von 34.206.000,00 €. Seitdem müssen auch deren Mitglieder auf Dividende verzichten.
    Nach Fusion mit der Raiffeisenbank Trostberg-Traunreut eG im Jahr 2017 und der Übertragung deren Mitglieder nebst gesamten Vermögen und Rücklagen, wobei seitdem auch die Mitglieder dieser Bank keine Dividende mehr bekamen, besaß die VR meine Raiffeisenbank Ende des Jahres 2017als Eigenkapital zählende Rücklagen in Höhe von mehr als 361.000.000,00 €.
    Hier darf man zu Recht fragen, ob sich nicht bereits stiftungsähnliches Vermögen gebildet hat und es dadurch zu einer förderzweckfernen Überkapitalisierung der Genossenschaft gekommen ist. Denn letztere drückt sich grundsätzlich durch versäumte Mitgliederförderung aus.
    Eigentlich seltsam, dass der Genossenschaftsverband und die Staatsaufsicht in Bayern dies dulden.

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