Bullay, den 25.Mai 2021. Schon in den Anfängen der Genossenschaftsbewegung war es eines der Fallstricke, dass die anderen Genossen hafteten, wenn ein Genossenschaftsmitglied auf Abwege kam. Gleichzeitig gab es ein hohes Risiko, wenn die Vorstände oder Aufsichtsräte nicht vom Fach waren, sondern nur diejenigen aus dem Dorf, die am besten rechnen oder schreiben konnten, oft ohne buchhalterische oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Es musste kein böser Wille sein, wenn dann die Zahlen zum Schaden der anderen Miteigentümer nicht in Ordnung waren. Hier ging es dann aber um Existenzen. Denn die Genossenschaftsidee bestand ja gerade daraus, die Schwachen wirtschaftlich zu stärken und zu schützen, da ein Sozialstaat im heutigen Sinne nicht vorhanden war.  Der Leitgedanke jeder Genossenschaft war die Selbstorganisation des gemeinsamen Geschäftsbetriebs. Am 23 März 1889 befasste sich der Reichstag ausdrücklich mit dem Schutz der Genossenschaftsmitglieder vor ihren Verwaltungsorganen und machte den Weg frei für die heutigen Prüfungsverbände.

Eine Kontrollinstanz zu errichten, welche mit Expertise und Sachverstand die Genossenschaften prüft und ihnen Hilfestellungen gibt, war also eine nachvollziehbar und sinnvolle Sache. Dass das Führerprinzip des Nationalsozialismus dieser Entwicklung nicht entgegenstand, ist an anderer Stelle diskutiert und bewertet worden. Tatsache ist, dass es heute große Prüfungsverbände gibt, die immer noch Genossenschaften prüfen und dafür fürstlich entlohnt werden.

Wo ist der Haken?
Der Haken liegt in der menschlichen Natur. Verbände haben die Eigenschaft, einen gesunden, bisweilen auch ungesunden Selbsterhaltungstrieb zu haben. Sie sehen sich als unentbehrlich an und versuchen, alles zu tun, um ihre finanzielle Ausstattung und ihre Personaldecke zu bewahren. Das bedeutet, sie sind nicht unbedingt prädestiniert dafür, das Wohlergehen anderer Institutionen oder Organisationen in den Vordergrund zu stellen, sondern neigen dazu, deren Bedürfnisse den eigenen Interessen anzupassen. 

Das heißt im Klartext: Wie an anderer Stelle schon einmal von einem Genossenschaftsvorstand auf den Punkt gebracht, prüfen die Prüfungsverbände für viel Geld, ob ihre Beratungsleistungen auch umgesetzt wurden. Genossenschaftsinterne Rechts- oder Richtungsfragen, vor allen die Interessen der Genossenschaftsmitglieder, werden vernachlässigt. Gleichzeitig sind in die Prüfungsverbände auch ausgewählte Vorstände von Genossenschaften mit eingebunden, welche nun ein Eigeninteresse haben, ihre Vorstandsvergütung oder ihre Pensionszusagen zu erhöhen. Diese Vereinbarungen setzen aber immer eine Kooperationsbereitschaft mit dem Prüfungsverband voraus.

Das ist ein Widerspruch. Die Prüfungsverbände wurden Ende des 19.Jahrhunderts gegründet, um die Interessen der Mitglieder zu wahren. Seit 1889 überprüfen die Genossenschaftsverbände die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Inzwischen definieren die Verbände sogar, was unter Ordnungsmäßigkeit zu verstehen ist. Sie legen die Leitlinien fest. Dabei klammern sie die wesentlichen genossenschaftlichen Grundprinzipien wie Transparenz, Partizipation und Mitbestimmung aus oder zu einem formalen Akt herunter. Heute wird Mitgliederförderung zur Sozialromantik stilisiert. So forcieren die Verbände Verschmelzungen, geben Verschmelzungsverträge vor und sorgen im Hintergrund dafür, dass die Vorstände der übergebenden Bank ihre Gehälter steigern können, während die Eigentümer, die Mitglieder der Genossenschaften, an einer transparenten Diskussion über die Folgen oder über Alternativen gehindert werden. Es geht sogar so weit, dass die schon fast berühmt gewordene VR Bank Bad Salzungen Schmalkalden eG , mittlerweile die vierte Sonderprüfung ertragen darf. Und das, weil der Vorstand seinen eigenen Weg geht, sich einem unabhängigen Prüfungsverband angeschlossen hat und sich auch nicht vom BVR absetzen ließ, weil die Mitglieder hinter den Vorstandsmitgliedern standen. Selbstverständlich ist jede Sonderprüfung auch mit unnötigen Kosten verbunden. Kosten, die im Sinne der Mitgliederförderung unterbunden werden sollten, oder haben wir da von igenos etwas falsch verstanden? 

Die Frage, die sich stellt ist: Was kann man dagegen tun? Die Hoffnung ruht also auf der APAS, die Abschlussprüferaufsicht beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, denn bei der BVR Fusionspolitik geht es um ein Milliardenvermögen genossenschaftlich organisierter Bürger, also um öffentliches Interesse.

Geschehen muss auf jeden Fall etwas. Auch wenn die oben genannten Beispiele aus dem Bankenbereich stammten, so gibt es in allen genossenschaftlichen Feldern ähnliche Missstände. Einzelmitglieder kämpfen immer wieder um ihre Rechte der Mitbestimmung oder um den Genossenschaftsauftrag der Mitgliederförderung. Wenn ein Genossenschaftsmitglied seine Genossenschaftswohnung verliert, weil es sich angesichts einer guten wirtschaftlichen Lage für eine Senkung des Nutzungsentgeltes einsetzt, wäre das genau so ein Fall für eine übergeordnete Instanz. 

Nicht jeder Prüfungsverband ist sicherlich vom Machtmissbrauch betroffen. Aber wenn ein Prüfungsverband den Genossenschaftsmitgliedern ihre Rechte nimmt und sich bei Unstimmigkeiten bedingungslos auf die Seite des Vorstands stellt, sollte das ein Fall für ein Aufsichtsgremium oder eine Schlichtungsstelle sein.  Es wäre schön, wenn die Politik dieses endlich mal aufgreifen und auf ihre Agenda setzen würde. Die Genossenschaftsbewegung lebt und die jungen, dynamischen Gründer werden sich auf Dauer mit den verknöcherten Institutionen, die ihnen demokratische Rechte verwehren, nicht mehr identifizieren können. Die weltweite Genossenschaftsbewegung zeigt, wie es anders geht.
Dr. phil. A. Neumann igenos e.V.
Arbeitsgemeinschaft Grundsatzfragen.

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