Raiffeisens antisemitischer Schatten wird größer

St. Gallen, 26. Februar 2019 (geno). Der antisemitische Schatten der Lichtgestalt des deutschen Genossenschaftswesens, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, verdunkelt und vergrößert sich. Das verdeutlicht ein Beitrag des in der Ostschweiz herausgegebenen und verbreiteten Kulturmagazins „Saiten“. In dessen aktueller Februar-Ausgabe werden Aussagen und Schriften von Raiffeisen genannt und zitiert, die sehr eindeutig auf antijüdische Überzeugungen des Westerwälders schließen lassen. Raiffeisen als Gründer der Genossenschaftsbank beschreibe Juden als betrügerische, unredliche Wucherer. Autoren aus dem Raiffeisen-Umfeld würden relativieren, er sei „ein Kind seiner Zeit“ gewesen. Dabei lägen jedoch die antisemitischen Züge in Raiffeisens Denken auf der Hand. Berühmt geworden sei in Sachen Relativierung von Raiffeisens Antisemitismus ein Zitat des deutschen Kirchenhistorikers Michael Klein, der 1994 die Dissertation „Leben, Werk und Nachwirkung des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888)“ publiziert hat und als Experte für das Leben Raiffeisens gilt. Ihm werfe der Genossenschaftsexperte und Buchautor Wilhelm Kaltenborn vor, Raiffeisen auf geradezu groteske Weise zu „exkulpieren“. Ähnliche Ausweichmanöver seien Hilmar Gernet im 2018 erschienenen Raiffeisen-Jubiläumsbuch „Zwei Pioniere, eine Idee“ anzulasten, der dazu wiederum auf eine von Sibylle Obrecht zum 100. Jahrestag der ersten 1899 in der Schweiz gegründeten Raiffeisenkasse herausgegebenen Schrift zurückgreift.

Raiffeisen hat sich nicht etwa beiläufig, sondern mindestens dreimal ausführlich zu diesem Thema geäußert, stellt der Autor des Beitrags Hans Fässler fest. Das sei in größerem öffentlichen Rahmen der Raiffeisen-Welt geschehen. So sei von ihm 1881 im „Landwirtschaftlichen Genossenschafts-Blatt“ der fünfseitige Aufsatz „Die Judenfrage“ erschienen. In demselben Medium habe er aus aktueller und historischer Sicht „Die Juden in Spanien“ veröffentlicht. Zudem habe er 1885 auf dem Vereinstag ländlicher Genossenschaftsvertreter eine längere, im Protokoll wiedergegebene Rede zu diesem Thema gehalten. Darin heißt es, „dass die Juden immer mehr Einfluss im grossen, wie auch bis in die kleinsten Ortschaften hinein gewännen und dass sie eine immer mehr verderblich wirkende Macht bildeten. Fässler fasst die antisemitischen Positionen von Raiffeisen zusammen. Nach Meinung des im vergangenen Jahr in Deutschland zu seinem 200. Geburtstag überschwenglich gefeierten Genossenschaftspioniers Raiffeisen profitieren Juden von der Spekulation, missbrauchen die Presse und mischen sich in christlich-religöse Angelegenheit ein. Außerdem beherrschten sie den Vieh- und Geldmarkt. Auch über den internationalen Einfluss des Judentums äußerte sich Raiffeisen sehr dezidiert. Sie hätten schon im Mittelalter eine „goldene Internationale“ gebildet, aus deren Fesseln sich Europa nicht mehr hätte befreien können.

Der Beitrag im Magazin „Saiten“ macht deutlich, dass die Raiffeisenforschung bisher ein sehr einseitiges Bild über diesen Vorreiter der Genossenschaftsbewegung erzeugt und vermittelt hat. Das gilt offensichtlich nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Schweiz. Dort steht nunmehr eine wissenschaftliche Feuerprobe bevor, denn die Eidgenossen feiern im Jahr 2024 das 125. Jubiläum ihrer Raiffeisen-Organisation. Bislang sieht die Wissenschaftslandschaft der Schweiz in Sachen Antisemitismus düster und leer aus. Der auf diesem Gebiet tätige Chef-Historiker Hilmar Gernet gesteht ein: „Es fehlen Forschungsergebnisse“. Dennoch ist das Thema auf der zwei Seiten langen Liste der im Jubiläumsvorfeld zu bearbeitenden Forschungsfelder nicht zu finden. ++ (hi/mgn/26.02.19 – 039)

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