DDR-Verfassung 1949: „Die genossenschaftliche Hilfe ist auszubauen“

Dresden/Berlin, 7. Oktober 2021 (geno). „Die genossenschaftliche Hilfe ist auszubauen“. So heißt es wörtlich in Artikel 20 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die am 7. Oktober 1949 – also vor genau 72 Jahren – gegründet worden ist. In dem wenige Monate zuvor – am 23. Mai 1949 – in Kraft gesetzten Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist dagegen keinerlei Bezug zu Genossenschaften zu finden. Zum damaligen Zeitpunkt gab es auf dem Territorium des zweiten deutschen Staates DDR allein im Sektor Handwerk bereits 1.696 Einkauf- und Liefergenossenschaften (ELG). Um den Genossenschaften per Verfassung zugewiesenen Rang gerecht zu werden, erließ der ostdeutsche Staat kurze Zeit später ein Gesetz zur Förderung des Handwerks. Paragraph 10 dieses Gesetzes definiert: „Die ELG sind der wirtschaftliche und organisatorische Zusammenschluss handwerklicher Einzelbetriebe auf freiwilliger Grundlage. Die Selbstständigkeit des Einzelbetriebes bleibt dadurch unberührt.“ Die Aufgaben des Handwerks in der DDR-Volkswirtschaft sollten demnach hauptsächlich durch die ELG gelöst werden. Sie seien keine auf Gewinnsteigerung gerichteten Einrichtungen. Ihr Arbeitsgebiet liege in den Stadt- und Landkreisen. Paragraph 11 verpflichtete staatliche Verwaltungen und öffentlichen Körperschaften, diese Genossenschaften zu unterstützen und zu fördern.

Wie die Dresdner Genossenschaftswissenschaftlerin und -historikerin Barbara Biesold in einem Aufsatz mitteilt, trafen sich am 30. Juli 1955 rund 160 Delegierte und berieten eine Verordnung sowie ein Musterstatut für Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH). Beide Dokumente traten am 18. August 1955 in Kraft. Dazu schreibt Biesold: „Das Musterstatut enthielt im Kern die demokratischen Grundregeln des deutschen Genossenschaftsgesetzes, das immer noch galt“. In der Folge gründeten viele Kleinbetriebe und Alleinmeister PGH oder traten bestehenden Genossenschaften bei. In Dresden lag die durchschnittliche Mitgliederzahl in neu gebildeten PGH bei 25. Interessanterweise bekamen die Genossenschaftsmitglieder keine Arbeitsverträge, sondern wirkten allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Genossenschaft mit. Sie hatten nicht den Status von Arbeitnehmern.

In den ostdeutschen Genossenschaftssektor kam weiterer Schwung. Bereits 1971 erbrachten 4.481 PGH mit 244.976 Mitgliedern eine Betriebsleistung von 9,4 Milliarden Mark. Das waren 50 Prozent der gesamten Handwerksleistung in der DDR. Die Verdienste der Mitarbeiter lagen oft höher als in der volkseigenen Industrie. Viele Beschäftigte wanderten aus volkseigenen Betrieben ab in das Handwerk. Ein tiefer Einschnitt erfolgte dann im Jahr 1972. Es wurden etwa 1.700 PGH vestaatlicht, die vorwiegend industriell produzierten.

In der unmittelbaren Zeit nach der Friedlichen Revolution und im Rahmen der Verhandlungen am Runden Tisch trat die DDR-Regierung unter Hans Modrow den genossenschaftlichen Weg nach Canossa an. Am 8. März 1990 – lange Zeit vor dem DDR-Beitritt zur BRD – wurden die Musterstatuten der Genossenschaften außer Kraft gesetzt. Es galt das Genossenschaftsgesetz von 1898 ohne jede Einschränkung. Allein im Handwerk existierten im Jahr 1989 noch 2.719 PGH mit 160.635 Mitgliedern. Im genossenschaftlichen Dienstleistungsbereich standen die Friseure an der Spitze. Sie erbrachten fast 70 Prozent der Gesamtleistung ihrer Branche. ++ (dr/mgn/07.10.21 – 110)

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