Gemeinwirtschaft ist urgenossenschaftliche Substanz – Warum Gewerkschaftsunternehmen scheitern

Bielefeld/Hamburg, 18. Mai 2018 (geno). Genossenschaften können auch heute noch mit einem sozialpolitischen Anspruch auf dem Markt bestehen.  Zentralisierte Großunternehmen mit einer übergeordneten politischen Ideologie sind dafür kein tragfähiges Modell mehr. Mit dieser sehr aufschlussreichen Schlussfolgerung fasst der Historiker Peter Kramper von der Universität Bielefeld in einem Interview mit der jüngsten Ausgabe des Magazins „brand eins“ seine Forschungsergebnisse über Gewerkschaftsunternehmen allgemein und den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzern Neue Heimat im Besonderen zusammen.

Der Begriff der Gemeinwirtschaft, die das wirtschaftliche Leitbild der Gewerkschaftskonzerne war, entstamme nicht dem gewerkschaftlichen Kontext. „Er wurde in den Zwanzigerjahren von den Gewerkschaften übernommen, um Unternehmen, die bereits im Kaiserreich gegründet worden waren, unter einem gemeinsamen strategischen Überbau zu vereinen. Das waren eigentlich klassische Selbsthilfeorganisationen, vor allem Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften. Es handelte sich dabei um kleine, regional ausgerichtete Unternehmen, die sich im Eigentum ihrer Kunden befanden und basisdemokratisch verwaltet wurden. In der Weimarer Zeit hofften die Gewerkschaften, dass sie mit einer Zentralisierung dieser Unternehmen die Möglichkeit bekämen, wichtige Bereiche der Wirtschaft zu sozialisieren“, erklärte Kramper den historischen Hintergrund.

Der Sozialisierungsgedanke sei eindeutig ein Gegenentwurf zum Privatkapitalismus gewesen. In der Bundesrepublik habe sich jedoch in den Sechzigerjahren ein Paradigmenwechsel vollzogen. Bis dahin hätten gemeinwirtschaftlich orientierte Unternehmen am Selbsthilfegedanken festgehalten. Das sei dann umgedeutet worden. Die Gewerkschaftsunternehmen sollten signalisieren, dass die organisierte Arbeitnehmerschaft den Kapitalismus weiterhin für korrekturbedürftig hielt. Sie seien damit Teil einer politischen Utopie geworden.

Das Beispiel Neue Heimat zeigt nach Aussage von Kramper, dass die besondere Marktsituation der Nachkriegszeit – Wohnungsnot und eine weitgehend homogene Nachfrage – Mitte der Siebzigerjahre nicht mehr bestand. 1974 habe es in der Bundesrepublik erstmals so viele Wohnungen wie Haushalte gegeben.  Da die Rentabilität der Neuen Heimat aber entscheidend von der Neubautätigkeit abhing, sei ihr politisch-organisatorisches Modell in Gefahr geraten. Es seien Projekte entstanden, deren Rationalität höchst zweifelhaft war. Dazu gehörte das geplante Alsterzentrum in Hamburg, für das fast das gesamte Stadtviertel St. Georg abgerissen und durch ein einziges riesiges Gebäude ersetzt werden sollte.

Den gewerkschafteigenen Konzernen schlug letztlich die Todesstunde durch schwere unternehmerische Fehlentscheidungen. So gingen neben der Neuen Heimat auch die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), die Volksfürsorge und die Co op AG zugrunde. Sie scheiterten. Eine Wiedergeburt war und ist nicht zu erwarten.

Auf diese Weise wurde über Jahrzehnte hinweg die urgenossenschaftliche Substanz der Gemeinwirtschaft zerstört. Fragt man sich, welche Wirtschafts- und Finanzkonstrukte heute diesem Schicksal am nächsten stehen, so drängen sich unwillkürlich die in Permanenz fusionierenden Genossenschaftsbanken auf.  Unser knapp 900 selbstständigen Volk- und Raiffeisenbanken haften mit ihren Fonds für allgemeine Bankrisiken
auch für evtl. Fehlspekulationen  der DZ-Bank.  ++ (gw/mgn/18.05.18 – 098)

www.genonachrichten.de, www.genonachrichten.wordpress.com, www.genossenschaftsnachrichten.wordpress.com, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27

igenos Fazit zum Thema Genossenschaften in Deutschland:  Wenn die Verwaltung zum Selbstzweck wird – dann wird es Zeit für intensive Ursachenforschung.
Der Begriff Sozialisierung ist doppeldeutig und hier im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung gemeint. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung bedeutet Sozialisierung Überführung des Eigentums oder sonstiger vermögenswerter Güter aus Privathand in die öffentliche Hand (Bund, Land, Gemeinde) mit dem Ziel einer am Allgemeinwohl orientierten Nutzung. Der Begriff der Sozialisierung ist inhaltsgleich mit dem in Art. 15 GG verwendeten Begriff der Vergesellschaftung. Die Sozialisierung führt zur Entstehung von Gemeineigentum und bei entsprechender Ausgestaltung zur Gemeinwirtschaft.

Die Sozialisierung hat aber grundsätzlich wenig mit dem im Genossenschaftsgesetz §1 beschriebenen genossenschaftlichen
Förderauftrag zu tun.  Die Genossenschaft  wird auch heute  leider häufig mit  Sozialismus in Verbindung gebracht, was nicht richtig ist.   Die Förderung der Mitglieder steht nach wie vor im Vordergrund  jeder Genossenschaft
Siehe hierzu: Deutscher Bundestag – 5. Wahlperiode Drucksache V/3500 Seite 20  in Georg Scheumann, Die Abkehr von der Genossenschaftsidee – igenos Schriftenreihe Genossenschaftspraxis Band 1

 

 

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