Bauhaustradition. Perlen genossenschaftlicher Architektur im Rampenlicht

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Delitzsch/Leipzig/Berlin, 11. September 2017 (geno) Der am Sonntag bundesweit veranstaltete „Tag des offenen Denkmals“ rückte Perlen genossenschaftlicher Architektur ins Rampenlicht, die sonst wenig oder keine Beachtung finden. Historische Gebäude im Spiegel ihrer Zeit und der Ausstrahlungskraft von Genossenschaften als Hauseigentümer belegen nicht zufällig deren Position im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Das tut das kleine Delitzscher Bürger- und Stadthaus, in dem die erste deutsche gewerbliche Genossenschaft 1849 gegründet wurde und das heute ein Genossenschaftsmuseum beherbergt, ebenso wie einige Jahrzehnte später entstandene regelrechte Prachtbauten. Dazu zählen beispielsweise das vom Architekten Leberecht Paul Ehricht entworfene, 1914 fertiggestellte Verwaltungsgebäude der Konsumgenossenschaft Berlin und Umgebung sowie die von 1929 bis 1932 errichtete Konsumzentrale in Leipzig-Plagwitz. Dabei strahlt das machtvolle Klinkergebäude in der sächsischen Metropole zudem eine geradezu in Stein gehauene Weltoffenheit aus. Das ist seinem Schöpfer, dem bei Elmshorn geborenen Architekten Fritz Höger zu danken, der den gesamten Gebäudekorpus einem riesigen Handelsschiff nachempfunden hat. Die „Schiffsbrücke“ ist deutlich erkennbar als ein geschwungener Baukörper, der droben auf dem mehrstöckigen Gebäude thront und in seinem Innern den Festsaal  der Konsumgenossenschaft beherbergt.

Die maritimen und weltmännischen Assoziationen sind auch in den Innengestaltung deutlich zu erkennen. Großformatige türkisfarbene Wandfliesen in der Erdgeschosszone, vollständig mit Tropenholz aus Indien getäfelte Vorstandsbüros und ein Treppenhaus, das mit einem massiven rotgoldenen Poller beginnt und dem sich anschließend bis ins oberste Geschoss ein Geländer schlängelt, das frappierende Ähnlichkeit mit einer Schiffsreling hat. Die meisten seiner Entwürfe konnte der norddeutsche Backsteinexpressionist und phasenweise an der Bauhaustradition orientierte Baumeister in Hamburg umsetzen. Dazu zählen das Hapag-Verwaltungsgebäude, das Klöpperhaus und der Sprinkerhof im Kontorhausviertel. Internationale Anerkennung fand Höger, der zeitweilig einen Lehrstuhl an der Norddeutschen Kunsthochschule Bremen innehatte, mit dem Chile-Haus.

Das Interesse der Besucher in der Leipziger Konsumzentrale – darunter zahlreiche Mitglieder des Konsum Leipzig – war enorm. Kenntnisreich und bis in Details präzise informierte bei einer der stark nachgefragten Führungen Hans-Jürgen Köhn. Der altgediente Konsum-Genossenschafter vermittelte nicht nur Wissen über die Gebäudearchitektur und die Funktion des beeindruckenden Bauwerks, sondern zeichnete  auch ein sehr lebendiges Bild über das Leben in der Anfangsphase des 1884 gegründeten Konsumvereins Leipzig-Plagwitz und über die weitere Entwicklungsgeschichte der bis in die gegenwärtigen Verhältnisse der sichtbar aufstrebenden Konsumgenossenschaft Leipzig. Da selbst miterlebt, vermochte er einen besonderen Einblick in die DDR-Epoche zu geben. So war zu erfahren, wie in den ländlichen Gegenden allerorten die Dorfkonsum-Verkaufsstellen eröffnet und unter welchen Umständen die dazu erforderlichen Gebäudegrundstücke mobilisiert wurden. Eine der letzten Stationen der Führung durch die Leipziger Konsumzentrale war im Keller der mächtige Tresorraum. Hier lagerten zu DDR-Zeiten Berge von Rabattmarken für die Rückvergütung am jeweiligen Jahresende zugunsten der Konsum-Mitglieder sowie Geldvorräte der Bundesbank bei der Umstellung Ostdeutschlands auf die D-Mark und später auf den Euro. ++ (ar/mgn/11.09.17 – 182)

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