Nachversteuerungspflicht für Genossenschaften bedroht Mitarbeiterbeteiligung und Nachfolgemodelle

Berlin, den 8.07.25. Es geht um die viel diskutierte genossenschaftlich organisierte Unternehmensnachfolge oder konkret um den Regierungsentwurf zum Investitionssofortprogramm. Dieser weitet steuerliche Vorschriften auch auf Genossenschaften aus.
Ganz konkret: Unser „Steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ dehnt zentrale Vorschriften des Einkommensteuerrechts – namentlich § 6 Abs. 5 und § 34a EStG – nun explizit auf Genossenschaften aus.
Was vordergründig wie eine formale Gleichstellung mit Kapitalgesellschaften erscheint, birgt für viele Mitarbeiter-Genossenschaften erhebliche Risiken.

Besonders problematisch: Bei Einbringung oder Umwandlung von Unternehmen in eine Genossenschaft droht künftig die sofortige Nachversteuerung von thesaurierten Gewinnen. Damit werden Gründungen oder Umstrukturierungen in die genossenschaftliche Rechtsform steuerlich unattraktiv – obwohl sie gerade in Nachfolgesituationen eine sinnvolle, nachhaltige Alternative bieten.
Damit stehen Genossenschaften unter steuerlichem Druck und werden als Nachfolgemodell ausgebremst. „Genossenschaften können eine hervorragende Option für die Unternehmensnachfolge sein, insbesondere wenn es darum geht, engagierte Mitarbeitende zu beteiligen und das Unternehmen langfristig zu sichern“, erklärte Dr. Anna Christmann, Beauftragte für Start-ups und Digitale Wirtschaft der Bundesregierung, bereits 2023 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) betont in seinen Leitlinien zur Unternehmensnachfolge: „Mitarbeiterbeteiligungen können ein effektives Instrument sein, um den Fortbestand kleiner und mittlerer Unternehmen zu sichern. Genossenschaften schaffen dabei demokratische Beteiligung und wirtschaftliche Stabilität.“

Nach Angaben des DGRV werden pro Jahr rund 30.000 Unternehmen altersbedingt zur Übergabe fällig – Tendenz steigend. Besonders im ländlichen Raum kann die Umwandlung in eine Genossenschaft eine tragfähige Lösung sein, um regionale Wertschöpfung zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern.
igenos Deutschland e.V. sieht hier erhebliche Risiken für Mitarbeitergenossenschaften. Die Ausweitung von § 6 Abs. 5 EStG bedeutet, dass bei der Einbringung von Wirtschaftsgütern in eine Genossenschaft stille Reserven aufgedeckt werden müssen. Gleichzeitig greift § 34a EStG: Die bisher gestundeten thesaurierten Gewinne werden nachversteuert – auch wenn keine Liquidität zufließt.
Folgen für das Nachfolgemodell Genossenschaften:

  • Liquiditätsbelastung: Die Steuerlast fällt sofort an, obwohl keine Mittel aus der Umwandlung zufließen.
  • Investitionshemmnis: Gründung oder Umstrukturierung in eine Genossenschaft wird steuerlich unattraktiv.
  • Rechtsformnachteil: Der spezifische Förderzweck genossenschaftlicher Modelle wird steuerlich ignoriert.

Der CoopGo Arbeitskreis Tax & Law sieht Gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Um Genossenschaften als Instrument der Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmensnachfolge zu stärken, braucht es:

  1. Steuerliche Privilegierung für Einbringungen in gemeinwohlorientierte Modelle
  2. Stundungsmöglichkeiten oder Ratenzahlung für Nachversteuerung
  3. Differenzierung nach Förderzweck und Gewinnverwendung in der Gesetzesanwendung

Gedankenanstoß: Gemeinwohl mit Nebenwirkungen?

Die steuerliche Gleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften ist gut gemeint, verfehlt aber das Ziel. Der Entwurf eines „Investitionsprogramms zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ gerät in Widerspruch zu seinem eigenen Anspruch, wenn er ausgerechnet Genossenschaften schwächt – eine Unternehmensform, die demokratisch verankert ist, regionale Stabilität sichert und Mitarbeitende in die Verantwortung nimmt. Statt Innovation und nachhaltige Übergabemodelle zu fördern, setzt die Reform auf ein rein kapitalmarktorientiertes Verständnis von Wirtschaftskraft.

Dabei hat die Rechtsprechung wiederholt betont, dass Genossenschaften keine Kapitalgesellschaften sind: So stellte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 14.07.2008 (II ZR 260/06) klar, dass die Genossenschaft durch ihren Förderzweck strukturell von Kapitalgesellschaften abweicht und nicht primär auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Auch das Bundesverfassungsgericht erkannte in seiner Entscheidung vom 10.04.2018 (1 BvR 1236/11) an, dass die genossenschaftliche Selbsthilfe einen eigenständigen Verfassungswert besitzt.

Während Genossenschaften durch die Ausweitung der genannten steuerlichen Regelungen stärker in die Pflicht genommen werden, gelten für Stiftungen und große Vermögensstrukturen differenzierte Regelungen. Für wohlhabende Stifter und Konzernstrukturen bestehen nach wie vor legale Spielräume zur steuerneutralen Gestaltung von Übertragungen. Für Bürgerinnen und Bürger, die im Rahmen kooperativer Modelle Verantwortung übernehmen, oder für mittelständische Unternehmerinnen, die ihr Unternehmen in eine Genossenschaft überführen möchten, gelten hingegen harte Regeln mit sofortiger Steuerwirkung.

Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, Nachfolgekrisen und gesellschaftlicher Polarisierung ist es kurzsichtig, die steuerlichen Grundlagen für Mitarbeiterbeteiligung und kooperative Unternehmensmodelle zu verschlechtern. Es braucht kein Gleichmachen, sondern ein Gleichwertigkeitsprinzip: Ein Steuerrecht, das funktionale Unterschiede nicht ignoriert, sondern produktiv in den Ordnungsrahmen einer sozialen Marktwirtschaft integriert.
(C) 2025 Arbeitskreis: CoopGo tax & law.
Grafik: Friederike Cañadas (1960 – 2020)

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