Bundeskanzler Olaf Scholz war Justiziar beim Hamburger Genossenschaftsverband ZdK

Führerprinzip: Alle Macht den genossenschaftlichen Verbänden

Berlin/Schmalkalden, den 6.10.2023. +++aktualisiert+++ Haben die Genossenschaftsverbände zu viel Macht und Eigeninteressen? Missbrauchen die Verbände ihre von Amts wegen verliehene Aufsichtsfunktion. Es geht in diesem Beitrag um die Einflussnahme durch die Genossenschaftsverbände auf die internen genossenschaftlichen Belange der rechtlich selbstständigen Genossenschaften, die allen genossenschaftlichen Leitbildern der demokratischen Unternehmensführung komplett widersprechen. Ein typisches Beispiel sind sogenannte Mustersatzungen, die sowohl vom GdW (Gesamtverband der Wohnungswirtschaft) also auch vom Dachverband der Genossenschaftsbanken BVR (Bundesverband deutscher Volks- und Raiffeisenbanken) entwickelt wurden. Sie schränken die Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder ein und begünstigen den Missbrauch der genossenschaftlichen Rechtsform. Die vorherrschende Verbandsstruktur schadet daher dem Genossenschaftsgedanken mehr als sie ihm nützt.

Doch wieso kann aus einer von Mitgliedern getragenen Rechtsform, die ausdrücklich die Interessen der Genossenschaftsmitglieder in den Vordergrund stellt, eine Rechtsform werden, in der Spitzenverbände die Leitlinien vorgeben? Igenos e.V. verweist hier wieder auf das in der NS Zeit eingeführte Führerprinzip, das mittlerweile dazu führt, dass hochspezialisierte übergeordnete Fachverbände ein Eigenleben führen, das mit den Eigenheiten des Genossenschaftswesens nichts mehr zu tun hat. 

Die Spitze des Eisbergs ist der gemeinsame Ausschuss der Spitzenverbände, der vom DGRV und vom GdW gebildet wird und den man nur als einen Lobbyverein bezeichnen kann. Dieser gemeinsame Ausschuss vertritt die politischen Interessen der untergeordneten genossenschaftlichen Spitzenverbände DGRV und GdW  und zwar diesmal sogar unabhängig. Darunter folgen auf der nächste Stufe die Dachverbände, zum Beispiel der Raiffeisenverband oder der BVR. Nun folgen wiederum eine Stufe darunter die Prüfungsverbände, die in einem wettbewerbsfreien Raum die Genossenschaften prüfen, sich das gut bezahlen lassen und über eine Umlage wiederum die Spitzenverbände finanzieren.

Die Prüfungsverbände profitieren dabei von einer staatlichen Monopolstellung, die sich aus der 1934 etablierten Pflichtprüfung und der Zwangsmitgliedschaft der Genossenschaften in einem (prüfenden) Genossenschaftsverband speist. Über die Jahrzehnte ist eine aufgeblasene Selbstverwaltungs organisation entstanden, die im weltweiten Genossenschaftswesen ihresgleichen sucht. So hat genoleaks herausgefunden, dass in den vier großen Prüfungsverbänden des DGRV durchschnittlich ein Mitarbeiter 1,67 Genossenschaften betreut. Bei 7.800 Genossenschaften in Deutschland kann man sich ungefähr ausrechnen, wieviel Personal die Verbände also benötigen, um deutsche Genossenschaften zu betreuen. Durch geschickten Lobbyismus ist nun sogar geplant, die Zulassung neuer Genossenschaften deutlich zu verschärfen. Hier berät derzeit der Bundestag über einen Antrag des Bundesrates. Statt also Genossenschaftsgründungen zu vereinfachen, die Transparenz zu erhöhen, Wettbewerb zwischen den Verbänden zuzulassen und den Dienstleistungsgedanken zu forcieren, wird das Verbandswesen gestärkt und die Bürokratisierung weiter ausgedehnt.

Das ist unverständlich. Genossenschaften sind Unternehmen mit einer besonderen Rechtsform, die sich durch basisdemokratisches Wirtschaften auszeichnen. Gerade unser Bundeskanzler Olaf Scholz und ehemaliger Syndikus des Hamburger Genossenschaftsverbandes ZdK sollte im Interesse der neuen Graswurzelbewegungen im Genossenschaftswesen, wie zum Beispiel Dorfladen Genossenschaften oder Energie Genossenschaften, die alten genossenschaftlichen Werte der Gemeinschaft in den Vordergrund stellen. Leider hört man davon aber nichts. So dominieren Politiker, wie der ehemalige Aufsichtsrat der Volksbank Mittweida, Marco Wanderwitz, der sich im Rahmen der Verhandlungen zum Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften ganz eindeutig für die Position der Verbände ausgesprochen hat.

Hier kann nur vermutet werden, dass der politische Einfluss der Verbände so groß ist, dass man lieber Verbandsfunktionäre und Genossenschaftsorgane fördert, die sich ihre Aktivitäten reichlich belohnen lassen und sich auf den einschlägigen Veranstaltungen in das Bewusstsein der Politik schieben, als sich denen zuzuwenden, welche die Gelder erwirtschaften. Letztere sind personell nicht so gut ausgestattet, dass sie die Zeit finden können, sich und ihre Agenda auf Versammlungen, Tagungen oder informellen Politikabenden zu präsentieren. 

Immerhin versuchen igenos e.V. und die Genonachrichten, die Genossenschaftsmitglieder dafür zu sensibilisieren, dass sie Rechte haben.  

Denn in der Außerkraftsetzung der Mitgliederrechte durch eigenmächtige Vorstände der Genossenschaften und die Genossenschaftsverbände liegt der eigentliche Skandal. Im Vordergrund der Verbandsarbeit vieler Genossenschaftsverbände stehen – entgegen verschleiernder Lippenbekenntnisse – nicht die gesetzlich verankerten Bausteine wie Wahrung der Mitgliederinteresse und Mitgliederförderung, sondern das verbandsintere wirtschaftliche Interesse und die finanziellen Interesse der Funktionsträger und Mitarbeiter. Das über die Jahre langsame aufgebaute, milliardenschwere, „herrenlose“ Genossenschaftskapital (Es gehört zu den Besonderheiten des Genossenschaftsgesetzes, dass die Genossenschaftsmitglieder nicht am Wertzuwachs ihrer Genossenschaft beteiligt sind) dient nur dem Selbsterhalt der Organisation und nährt alle diejenigen, die Teil der Organisation sind. 

Wer als Genossenschaftsmitglied dagegen aufsteht und Vorschläge macht, die Gewinne mitgliederfördernd zu verteilen oder wer die Genossenschaftsmitglieder zusammenruft, um Beschlüsse zu hinterfragen, muss mit Konsequenzen rechnen: Ausschluss bei gleichzeitigem Ausbezahlen des vor Jahren eingezahlten Anteils ohne irgendeinen Anspruch auf einen Ausgleich für die über Jahre mit seinem Anteil erwirtschaftete Wertsteigerung.

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob die von der UNESCO verliehene Auszeichnung „Immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ in Deutschland nicht als Hohn zu bezeichnen ist. Andere Länder machen es besser, mit einem starken Genossenschaftswesen und freiwilliger Mitgliedschaft in Genossenschaftsverbänden, die in Wettbewerb untereinander stehen. Wieso ist das in Deutschland nicht möglich?

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