Hat „Raiffeisen“ sich überholt?

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Bullay, den 9.9.2020. Die Zeiten scheinen sich zu wandeln und dabei kommt die alte „Raiffeisen-Idee“ ganz schön ins Schwitzen. Raiffeisen ist für einen Kooperativen Wandel eine Belastung geworden. 

Warum? Weil sich das  Menschenbild gewaltig verändert hat. Immer mehr wird klar, dass Menschen über Stärken verfügen, nicht über Schwächen. Die „Opferrolle“, dass Menschen „schwach“ und „hilflos“ sind, dass sie „Opfer“ der Verhältnisse sind, wurde von Raiffeisen perfekt zelebriert. Und es gab genug, die sie auch glaubten. Heute mehrt sich die Nachdenklichkeit: Und was wäre, wenn man uns das nur einredet hätte? 

Wie wäre es mit einer leicht veränderten Neu-Fassung des Spruchs „Was der Einzelne nicht schafft, schafft die Gemeinschaft“ von Herrn Raiffeisen in: „Was den Einzelnen erschlafft, erschlafft auch die Gemeinschaft“?

Genossenschaften und ihre Ideen könnten heute dafür sorgen, dass Menschen ihre Souveränität leben. Eine Kooperationsgesellschaft basiert auf der Erkenntnis, dass das Mitglied einer Genossenschaft ein kreativer, selbstbewusster und souverän handelnder Gestalter einer neuen Zeit ist. Formulieren wir den Raiffeisen-Spruch „kooperationsgerecht“, dann müsste er lauten: „Was der Einzelne schon schafft, schafft er in Gemeinschaft noch leichter!“

Die derzeitigen Vertreter der Raiffeisen Idee erheben den Anspruch, das Erbe Raiffeisens zu verwalten, aber nicht zu verändern. Es ist eine Crux, dass sowohl in der deutschen Genossenschaftsbewegung, als auch in der Politik, der Raiffeisen´sche Kooperationsgedanke immer noch beklatscht wird, obwohl er nicht anderes sagt, als, dass der Mensch, der es nicht schafft, – der Versager also -, es schafft, wenn er von der Gemeinschaft an die Hand genommen wird. Das klingt demokratisch, sozial, ist aber in Wirklichkeit eine subtile Entmündigung des Menschen, denn im Umkehrschluss sind Genossenschaftsmitglieder dann doch diejenigen, die es alleine nicht geschafft hätten. Das ist nicht nur falsch, sondern eine Weltanschauung, die sich überlebt hat. Das Ergebnis sind Genossenschaften unter indirekter „Staatskontrolle“ mittels Verbänden ohne wirkliche Souveränität.

Diese Organisation begünstigt es, Strukturen und machtpolitischen Erwägungen Vorrang zu geben, um die angeblich Schwachen zu schützen und die Träger der Genossenschaften, die Mitglieder, völlig zu vernachlässigen. Ob man damit Wege für Neues frei macht und das Potential der Mitglieder nutzt, darf stark bezweifelt werden. Denn es sind Menschen, Individuen, welche Ideen liefern und wirtschaftliches und kooperatives Handeln voranbringen, nicht Institutionen. Die Kooperations-Gesellschaft ist die Gesellschaftsform, in der Menschen sich endlich engagiert ihre Souveränität in ihren beruflichen oder wirtschaftlichen Entscheidungen zurückholen können und ihre Energien in die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts einbringen können.

Immerhin beginnt inzwischen ein Nachdenken, ob Raiffeisen wirklich so genial war, wie er heute noch hingestellt wird. Aus Sicht seiner Zeitgenossen mag das sein, vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen einer demokratisierten, digitalen Welt sind starke Zweifel angebracht. Die junge Generation von heute lässt sich nicht mehr entmündigen. Es wird Zeit, die Genossenschaftsidee  neu zu denken.
igenos Arbeitsgruppe: Grundsatzfragen

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1 Kommentar.

  • Siegfrieds Kurt Allisei
    9. September 2020 15:46

    Klar doch, dass der „Raiffeisen“ als „Pfarrer“ so denken musste. Bist du ein „Opfer“, dann bete zu Gott. So entstehen „folgsame Gottesfürchtige“. Raiffeisen war auch ein Politiker. Bist du in einer Genossenschaft, brauchst du keine Arbeiterbewegung. So hält man die aufkommende Arbeiterbewegung klein. Und die Erkenntnis: Je mehr man das Genossenschaftswesen mit den „Staatsideen“ verbindet, umso mehr begrüßt das der Staat. Na, ein Schelm, wer nicht weiß, was 1933/34 in Sachen Genossenschaften geschah. Die Verbände, die Nachfolger von Raiffeisen konnten nicht schnell genug „zu Diensten“ sein. Was sich 1933/34 bewährte, wurde nach 1945 fortgesetzt, diese Form der Staatsaufsicht besteht bis heute. Und derzeit arbeitet man daran intensiv weiter: Eine Bundesratsinitiative aus B-Württemberg lässt den Schluss zu, dass die Ideen für Staatsaufsicht über Genossenschaften, schier unbegrenzt sind. Ganz im Sinne von „Raiffeisen“. Ein Schelm, wer nicht vermuten könnte, dass die ursprüngliche „Staatsdienerschaft“ des Herr Raiffeisen munter bis heute ihre Fortsetzung findet. Ist doch okay, wenn man Genossenschaften sucht, um die überlebte Konkurrenzgesellschaft am Leben zu halten. Die Verbände waren früher schon dem „Konkurrenz-Staat „gern zu Diensten“. Also was hat uns „Raiffeisen“ wirklich gebracht, außer den „Schein“ von genossenschaftlicher Souveränität. Während in allen EU-Ländern – ohne „Raiffeisen-Belastung“ und „Staatskontrolle“ – der Genossenschaftssektor boomt, zeigt sich in Deutschland das Gegenteil! In anderen EU-Statten hat man sich längst von Staatsaufsicht und „Raiffeisen-Denken“ verabschiedet und stellt fest: „Plötzlich entwickelt sich ein spannender, ideenreicher Genossenschaftssektor mit enormer menschlicher Sympathie und Zuwachs.
    Eigentlich taucht die Frage auf, warum ausgerechnet Deutschland – gerade jetzt, wo man sogar die EU-Präsidentschaft inne hat – nicht auf den Gedanken kommt, endlich sein Genossenschaftsrecht EU-konform zu harmonisieren? So ein blöder Gedanke,würde „Raiffeisen“ sagen: Dann verliert man doch die „Staatskontrolle“. Nichts würde wohl Raiffeisen und ein Konkurrenz-Staat mehr fürchten, wie Menschen, die sich in einer Genossenschaft mündig, souverän und selbstverantwortlich gerieren und eine sinn-stiftende Kooperations-Gesellschaft vor Augen haben. Was wir in Deutschland brauchen, sind Menschen, die Freiheit lieben, Selbstverantwortung und Souveränität schätzen und die man vor ungebeten Staatseinflüssen und schützt. Teste selbst: Auf wieviel „Raiffeisen“ müsste man dann verzichten?

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