Bakunin und die genossenschaftliche Selbstverwaltung: Projektwoche zum verschütteten Wissen

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Meiningen, 7./8. September 2019 (geno). Die erste wissenschaftliche Projektwoche zur Erforschung des Werks von Michail Bakunin und der von ihm maßgeblich ausgelösten Anarchistenbewegung nach dem Prinzip Selbstverwaltung endete am Wochenende in Meiningen mit der Vorlage eines inhaltsschweren Vorhabenkatalogs. Außerdem wurde von dem gastgebenden Wanderverein „Bakuninhütte“ ein neuer Vorstand gewählt. Das neue Leitungsgremium bilden Uwe Flurschütz aus Erfurt, Joachim Boekenkamp aus Meiningen und Heike Horstmann aus Mehmels. Dieser Verein ist Nutzer des Grundstücks nebst dem Gebäude, während der von Mark Mence geleitete „Kreis der Wander- und Naturfreunde“ als Eigentümer de facto als Rechtsnachfolger der seinerzeitigen Gründervereinigung „Siedlungsverein Gegenseitige Hilfe“ zu betrachten ist.

Das Veranstaltungsprogramm wurde aufmerksam in der regionalen Öffentlichkeit begleitet. Das „Meininger Tageblatt“ berichtete am Freitag ganzseitig über eine Visite auf dem weitläufigen Vereinsgelände und aus der in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichteten und mehrfach erweiterten Bakuninhütte. Im Mittelpunkt steht der Dialog mit dem Initiator Horst Puchta aus Meiningen, der sich als nicht parteigebundener, politisch interessierter Demokrat outet, und mit dem pensionierten Pfarrer Michael Wagner. Der Theologe bekennt freimütig, der genossenschaftliche Gedanke gefalle ihm schon sehr gut. Er fordert: „Nicht parteienorientiert, sondern projektorientiert sollten wir denken.“

Im Vordergrund einer Ideen-Konferenz unter freiem Himmel standen Vorschläge, um an Ort und Stelle den geschichtsträchtigen Platz sorgfältig zu erkunden und weitere konkrete Forschungsquellen zu finden. Ein Konzentrat dessen erstellte der junge Archäologe Christopher Hölzel, der bereits über tiefe Kenntnisse des Original-Schauplatzes verfügt. Das aktuelle Gästebuch, in dem auch der prominente Liedermacher und Künstler Konstantin Wecker seinen Traum von einer herrschaftsfreien Welt verewigt hat und deshalb Vereinsmitglied geworden ist, lässt Hoffnung für eine lebenswerte und heitere Zukunft nachkommender Generationen aufkeimen. Das wird auch durch Einträge in das historische Gästebuch bestätigt: „Laßt uns schaffen, laßt uns bauen eine neue, bessre Welt bis das Morsche und das Faule ganz in sich zusammenfällt“, schrieb Fritz Scherer der Bakuninhütte vor fast 90 Jahren ins Stammbuch. Der Berliner kümmerte sich als Hüttenwart besonders in den Jahren 1930/31 um den Betrieb der allseits beliebten Ausflugs-, Versammlungs- und Diskussionsstätte. Er rettete auch deren Archivbestände vor dem Zugriff der Nationalsozialisten, die nach ihrem Machtantritt 1933 den Siedlungsverein „Gegenseitige Hilfe“ verboten und das Grundstück später der SS überlassen hatten. Dass die meisten Wissens- und Dokumentenschätze noch im Verborgenen liegen, ist den modernen, aus nah und fern – zum Beispiel aus Hamburg, Berlin und Bremen – angereisten „Bakunisten“ bewusst. Das gilt auch für das Wirken des Schriftstellers, Gesellschaftskritiker und Anarchismus-Klassikers Erich Mühsam, der selbst mehrfach Gast in der Bakuninhütte war. Auch die Geschichtswissenschaft mit all ihren disziplinären Querverbindungen hat das begriffen, meint Hölzel. Aus diesem Grund gingen die meist jungen Forscher vorbehaltlos und wissbegierig ans Werk. Deswegen sei es besonders wichtig gerade in der Startphase zu diesem für die künftige Zivilgesellschaft gewichtigen Forschungsvorhaben die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen.

Der Kreisheimatpfleger des Landkreises Schmalkalden-Meiningen bekräftigt mit seinem Eintrag in das neue Gästebuch die Notwendigkeit, die bislang noch eingetrübte Strahlkraft des originalen Schauplatzes zu erhellen. „Die Bakuninhütte bei Meiningen und Ellinghausen ist ein einzigartiger Ort deutscher und europäischer Geschichte. Danke, dass es Menschen und Institutionen gibt die sich angemessen kümmern und dem Ort die Öffentlichkeit geben, die er verdient hat“, schreibt Axel Wirth. ++ (bk/mgn/08.09.19 – 147)

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Gerade vor dem Hintergrund des sich anbahnenden kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftpolitischen Wandels ist auch das nachstehende Zitat aus der Rede von Michail Bakunin vor dem Berner Kongress der Friedensliga 1868 passend : “Gerade weil die Republik in demokratische Formen gehüllt ist, garantiert sie der raubgierigen und reichen Minderheit in viel stärkerem Maße eine ruhige und sichere Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung.”


Vielleicht ist dies auch ein Grund warum die Ideen vom Solidarismus politisch unerwünscht waren und untergegangen sind.

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