Genossenschaften gehören zu Israels Gründungsmythos – 250 Kibbuzim landesweit

Tel Aviv, 14. Mai 2018 (geno). Israel feiert am Montag den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung. Unzertrennlicher Teil des Gründungsmythos ist die Kibbuz-Idee, die auf dem Genossenschaftsgedanken basiert. In diesen Dörfern, von denen die ersten bereits im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts entstanden sind, sollten sich sozialistische Gemeinschaften entwickeln.

Heute wohnen in den Kibbuzim nur noch die wenigsten Israelis – etwa 120.000 Menschen. Das sind etwa 1,8 Prozent der Bevölkerung. Jedoch stehen die Siedlungen für die einstigen Träume der Staatsgründer und der ideellen Träger Israels. Viele prominente Politiker und Intellektuelle lebten selbst in einem Kibbuz.

Dazu gehört auch der bekannte Schriftsteller Amoz Oz. Als 14jähriger zog er von Jerusalem in den Kibbuz Hulda in der Mitte des Landes. Im Deutschlandfunk schilderte er die damalige Lage: „Der 14. Mai 1948 war ein Freitag. Jerusalem stand damals bereits zwei oder drei Monate unter arabischer Belagerung. Ab und zu erreichten uns Versorgungskonvois. Und trotzdem litten wir an Hunger. In Jerusalem gab es damals auch kein sauberes Wasser. Stattdessen gab es Angst.“ Oz akzeptiert den Status Quo in seiner Heimat nicht.  Dazu zählt er auch die israelische Besatzung des palästinensischen Westjordanlandes.

Der bekannte Generalstabschef, Verteidigungs- und Außenminister Moshe Dayan lebte in dem wohl ältesten Kibbuz Degania. Er wurde dort 1915 geboren und heiratete auch in seiner Heimatsiedlung. Es war die erste Hochzeit in Degania. Albert Einstein besuchte diesen Kibbuz im Jahr 1923 und bezeichnete ihn als „erste kommunistische Kolonie“. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs gab es 14 Kibbuzim in Palästina.

Zu den typischen Kibbuz-Genossenschaften gehört Tsuba. Wie im Gründungsjahr herrscht dort immer noch Basisdemokratie. Mehr noch: Alle Bewohner bekommen das gleiche Budget. Egal, ob sie auf dem Acker arbeiten, in der Kantine Essen kochen oder eine Leitungsfunktion in der Genossenschaftsverwaltung innehaben. Die heute 88jährige Ruth Keren kam damals als 18 jährige nach Tsuba. Sie wurde 1930 in Berlin geboren. Drei Jahre später wanderte ihre jüdische Familie in das damalige Palästina aus. Sie sagt: „Man wollte damals eine neue, bessere Gesellschaft aufbauen. Als der Staat gegründet wurde, kamen mit einem Mal Millionen von Menschen. Viele Dinge mussten damals aus dem Nichts aufgebaut werden. In einer Kooperative konnten sich die Menschen helfen, sie waren füreinander da. Dahinter verbirgt sich das Prinzip eines Kibbuz: Jeder gibt so viel, wie er kann, und bekommt, was er braucht.“ 1948 standen in Tsuba nur Zelte. Heute hat es die Gemeinschaft von 630 Bewohnern und eigenen Betrieben zu Wohlstand gebracht. 

In Israel gibt es heute noch 250 Kibbuzim. Viele sind so alt wie Israel, einige wesentlich älter. Manche Kibuzzim haben aufgegeben, andere befinden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Inzwischen haben sich drei von vier Kibuzzim vom sozialistischen Prinzip verabschiedet. Aber die Idee erlebt  ein Revival.

Grund ist das rasante Bevölkerungswachstum. Insbesondere junge Leute und Familien sehen im sozialistischen Kibbuz eine Alternative. Modellhaftes leistet der Kibbuz Revivim in der Negev-Wüste. Einer seiner Bewohner, der vorher in Tel Aviv und New York lebte und als Manager arbeitete, hat sich dem Kibbuz verschrieben. Nach seiner Meinung hat der klassische Kibbuz in Israel eine Zukunft. „Wir kamen hierher, weil wir etwas ändern wollten. Der Kibbuz war für uns das genaue Gegenteil von Tel Aviv. Die Wirtschaft ist sozialistisch. Man hat nicht wirklich was mit Geld zu tun. Es ist doch so: Wenn Du ein Start-up wegen des Geldes gründest, wirst Du keinen Erfolg haben. Und was wirklich zählt im Leben, sind die Familie und die Gemeinde.“

Nach einer langen, mehr als ein Jahr währenden Debatte hat die israelische Regierung 2004 beschlossen, eine Einteilung der Kibuzzim in zwei Kategorien vorzunehmen. Dabei bleibt der „konservative Kibbuz“ dem klassischen Modell treu und der „sich verändernde Kibbuz“ passt sich modernen Verhältnissen an.

Dennoch wird weiter heftig diskutiert. Einer der Veränderungsvorschläge läuft darauf hinaus, die Kibbuzgemeinschaft in eine „echte“ Kooperative oder in ein Gemeindewesen umzuwandeln.

An genossenschaftlicher Experimentierfreude mangelt es in Israel offenbar nicht. Schon deshalb dürfte für Europäer insbesondere für die in Dogmen verstrickten Deutschen ein Blick in Israels Kooperativwirtschaft lohnenswert sein. ++ (ir/mgn/14.05.18 – 094)

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