Mit seinem Beschluss vom 18. März 2025 (II ZB 7/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt:
Bei Verschmelzungen von Genossenschaften ist der Ausgleichsanspruch der Mitglieder auf den Nominalwert ihres Geschäftsguthabens beschränkt. Rücklagen und stille Reserven bleiben außen vor. (Juris Bundesgerichtshof)
Eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde eines igenos-Mitglieds hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 4. August 2025 ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen. (Genonachrichten)
Damit ist das Nominalwertprinzip bei Genossenschaftsverschmelzungen höchstrichterlich abgesegnet – mit weitreichenden Folgen für Mitglieder, Vorstände, Aufsichtsräte und Prüfungsverbände.
Die nachfolgende Besprechung versucht, die Entscheidung und ihre Einbettung verständlich darzustellen – unter Einbeziehung von Scheumanns Schrift „Quo vadis Volks- und Raiffeisenbanken“ und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Prüfungsmonopol der genossenschaftlichen Prüfungsverbände. (Bundesverfassungsgericht) sowie einer volkswirtschaftlichen und geldpolitischen Einordnung am Ende.
1. Worum ging es im BGH-Verfahren?
Ausgangspunkt war eine Verschmelzung zweier Genossenschaftsbanken. Wie üblich wurden die Geschäftsguthaben der Mitglieder der übertragenden Bank 1:1 im Nominalwert in Geschäftsguthaben der aufnehmenden Bank umgewandelt.
Ein Mitglied wollte sich damit nicht abfinden. Es argumentierte:
- Die Bank habe im Laufe der Jahre aus den erwirtschafteten Gewinnen massive offene und stille Rücklagen aufgebaut.
- Die Genossinnen und Genossen hätten Anspruch darauf, bei einer Verschmelzung am vollen inneren Wert ihres Anteils beteiligt zu werden – nicht nur am Nennbetrag des Geschäftsguthabens.
- In anderen Rechtsformen (AG, GmbH) werde bei Verschmelzungen eine Unternehmensbewertung vorgenommen und die Anteilseigner würden wirtschaftlich am Unternehmenswert beteiligt; warum sollten ausgerechnet Genossenschaftsmitglieder schlechter gestellt sein?
Die Vorinstanzen und der BGH verneinten einen weitergehenden Anspruch und stützten sich im Kern auf § 85 Abs. 2 UmwG, der für Genossenschaften ausdrücklich auf das Geschäftsguthaben als Bemessungsgröße verweist. (Juris Bundesgerichtshof)
2. Kernaussagen des BGH: Nominalwert statt innerer Wert
Der BGH definiert das „Geschäftsguthaben“ im Sinne von § 85 Abs. 2 UmwG wie folgt:
Geschäftsguthaben ist der Nominalwert der Beteiligung des Mitglieds an der Genossenschaft – also der Betrag, den das Mitglied tatsächlich eingezahlt hat,
zuzüglich gutgeschriebener Gewinne / Rückvergütungen
abzüglich Verlustabschreibungen. (Juris Bundesgerichtshof)
Rücklagen, stille Reserven und der darüber hinausgehende Unternehmenswert zählen nicht mit. Eine wirtschaftliche Gesamtbewertung findet nicht statt.
Zur Begründung hebt der BGH insbesondere hervor:
- Die Genossenschaft sei keine Kapitalgesellschaft, sondern eine mitgliederorientierte Rechtsform.
- Die Mitglieder seien nicht am gesamten Vermögen der Genossenschaft beteiligt, sondern nur an ihrem Geschäftsguthaben.
- Das Gesetz kenne nur zwei Ausnahmen, in denen über den Nominalwert hinaus ein Anteil am Vermögen zustehe:
- bei der Liquidation (§§ 90, 91 GenG)
- wenn Satzung oder Verschmelzungsvertrag ausdrücklich etwas anderes vorsehen. (Juris Bundesgerichtshof)
Besonders wichtig ist ein weiterer Gedanke des BGH: Er beruft sich auf die „Finanzhoheit“ der Mitglieder. Ihnen stehe es grundsätzlich frei,
- über die Verwendung der Gewinne zu entscheiden,
- Rücklagen zu bilden oder auch auszuschütten,
- im Verschmelzungsvertrag ein anderes Umtauschverhältnis (z.B. über Nominalwert) zu beschließen.
Die Botschaft lautet vereinfacht:
„Ihr hättet euch früher kümmern und etwas anderes beschließen können – wenn ihr das nicht getan habt, müsst ihr mit dem Nominalwert leben.“
3. Die Verfassungsbeschwerde – und das knappe „Nein“ aus Karlsruhe
Die Verfassungsbeschwerde, deren Begründung inzwischen veröffentlicht ist, setzt genau hier an. Sie rügt u.a.:
- Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz)
- Genossenschaftsmitglieder werden gegenüber Anteilseignern anderer Rechtsformen (AG, GmbH) bei Verschmelzungen schlechter gestellt.
- Selbst im Genossenschaftsrecht gibt es Situationen (Liquidation), in denen Mitglieder gerade am inneren Wert partizipieren; warum soll das bei Auflösung durch Verschmelzung nicht gelten?
- Eingriff in Art. 14 GG (Eigentum)
- Das Geschäftsguthaben und der (bedingt) bestehende Anspruch auf Beteiligung am Liquidationserlös sind Eigentum.
- § 85 Abs. 2 UmwG bewirke in der BGH-Auslegung eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung, weil faktisch eine Vermögensübertragung (Rücklagen, stille Reserven) ohne angemessenen Ausgleich stattfinde.
- Verstoß gegen Unionsrecht / EMRK
- Insbesondere Art. 17 GRCh (Eigentum) und Art. 16 GRCh (unternehmerische Freiheit),
- europäische Vorgaben zu Strukturmaßnahmen (SCE-Verordnung, Richtlinie 2019/2121).
Das BVerfG hat diese Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG). (Genonachrichten)
Für die Praxis bedeutet das:
- Es gibt keine inhaltliche verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung mit dem Nominalwertprinzip bei Verschmelzungen.
- Die Entscheidung des BGH bleibt schlicht stehen; sie gilt damit als verfassungsgemäß, ohne dass Karlsruhe die zahlreichen vorgebrachten Argumente im Einzelnen gewürdigt hätte.
Aus Sicht vieler Mitglieder wirkt das wie ein „Schweigen auf hohem Niveau“: formal korrekt, politisch bequem – aber in der Sache unbefriedigend.
4. Scheumanns Analyse: Nominalwertprinzip als Motor der Entwertung
In seinem PDF „Quo vadis Volks- und Raiffeisenbanken“ zeichnet Georg Scheumann den Beschluss des BGH als einen Wendepunkt mit klarer Schlagseite zu Lasten der Mitglieder.
Zentrale Punkte:
- Systematische Entwertung der Mitgliederbeteiligung
- Seit Jahrzehnten werden Verschmelzungen von Volks- und Raiffeisenbanken als Vermögensübertragung als Ganzes (§ 2 Nr. 1 UmwG) durchgeführt.
- Die Mitglieder der übertragenden Bank erhalten kein Stück des in Jahrzehnten aufgebauten Millionenvermögens „ihrer“ Bank, sondern nur eine 1:1-Umbuchung ihres Geschäftsguthabens zur aufnehmenden Bank.
- BGH-Argument der „Finanzhoheit“ – in der Praxis nicht gelebt
- Der BGH stützt sich ausdrücklich darauf, dass die Mitglieder die Finanzhoheit über Rücklagen und Investitionen hätten.
- Scheumann dreht dieses Argument um: Wenn die Mitglieder tatsächlich Finanzhoheit haben sollen, müssen sie
- vollständig informiert werden,
- über Alternativen zur Verschmelzung (Spaltung, Ausgliederung, Formwechsel) aufgeklärt werden,
- über die tatsächliche Höhe des Eigenkapitals und der stillen Reserven Bescheid wissen.
- Ohne diese Informationen ist die vermeintliche Entscheidungsfreiheit reine Fiktion.
- Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat
- Beide Organe tragen die rechtliche Verantwortung, die Genossenschaft im Sinne des Förderauftrags der Mitglieder zu führen (§§ 34, 41 GenG).
- Scheumann kritisiert, dass sich Aufsichtsräte bei Fusionen „viel zu sehr“ auf den Pflichtprüfungsverband und dessen Gutachten verlassen, statt die Interessen der Mitglieder eigenständig und kritisch zu prüfen – und ggf. Drittgutachten einzuholen.
- Langfristige Folge: Verlust der lokalen Genossenschaftsstruktur
- Über Jahrzehnte haben Verschmelzungen dazu geführt, dass ein Großteil der früher zahlreichen Volks- und Raiffeisenbanken verschwunden ist.
- Das Vermögen wandert in immer größere Verbünde, während die lokale identitätsstiftende Genossenschaft vor Ort verschwindet – ohne dass die Mitglieder ihren Anteil am aufgebauten Wert realisieren können.
Scheumanns Fazit:
Das BGH-Urteil zementiert ein System, in dem Rücklagen und stille Reserven in Richtung immer größerer Einheiten verschoben werden, während die Mitglieder zwar formal Eigentümer bleiben, wirtschaftlich aber so gut wie nichts von „ihrer“ Bank sehen.
5. Prüfungsmonopol der Genossenschaftsverbände – Schutzschild oder Feigenblatt?
Hier kommt die Pflichtmitgliedschaft im Prüfungsverband ins Spiel.
5.1 Was sagt das BVerfG dazu?
In seinem Beschluss vom 19. Januar 2001 (1 BvR 1759/91) hat das BVerfG die Pflichtmitgliedschaft in genossenschaftlichen Prüfungsverbänden und die Pflichtprüfung nach §§ 53 ff. GenG für verfassungsgemäß erklärt. (Bundesverfassungsgericht)
Die Kernideen des Gerichts:
- Die Pflichtprüfung soll
- die Position der Mitglieder im Innenverhältnis zur Genossenschaft sichern,
- die Einhaltung des Förderzwecks zugunsten der Mitglieder kontrollieren,
- Gläubiger schützen und die besondere Struktur der Genossenschaft (kein Mindestkapital, keine persönliche Haftung) ausgleichen. (DServer Bundestag)
- Die Pflichtmitgliedschaft im Verband sei eine zulässige Ausgestaltung der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), weil sie gerade den Mitgliedern diene. (WiWi Münster)
Mit anderen Worten:
Das Prüfungsmonopol wird vom BVerfG ausdrücklich mit dem Mitgliederschutz gerechtfertigt.
5.2 Die Praxis bei Fusionen
Schaut man sich nun die Praxis der Bankverschmelzungen an, ergibt sich ein Spannungsfeld:
- Verschmelzungen werden regelmäßig von den Pflichtprüfungsverbänden begleitet und gutachterlich „abgesegnet“.
- Dennoch werden die Mitglieder nicht am inneren Wert beteiligt, sondern bleiben im Nominalwert gefangen. (CMS Law)
- Scheumann weist darauf hin, dass Aufsichtsräte sich bei Fusionen häufig auf Verbandsgutachten verlassen, statt sie kritisch gegen den Förderauftrag der eigenen Genossenschaft zu spiegeln.
Genonachrichten haben bereits an anderer Stelle herausgearbeitet, dass das BVerfG das Prüfungsmonopol nur akzeptiert, weil es den Mitgliederinteressen dienen soll. (Genonachrichten)
Die Frage liegt auf der Hand:
Erfüllen die Prüfungsverbände diesen verfassungsrechtlich begründeten Schutzauftrag noch,
wenn sie systematisch Fusionen mit reinem Nominalwertumtausch durchwinken?
6. Konsequenzen für Mitglieder und Organe
Aus Sicht der genossenschaftlichen Basis ergeben sich aus dem BGH-Beschluss und dem Schweigen des BVerfG mehrere Schlussfolgerungen:
- Bei Verschmelzungen gibt es ohne aktive Mitgliederbeschlüsse keinen Anspruch über den Nominalwert hinaus.
Wer den inneren Wert realisieren will, braucht- eine Satzungsregelung,
- oder entsprechende Vereinbarungen im Verschmelzungsvertrag (Umtauschverhältnis, Sonderausschüttung, etc.).
- Mitgliederrechte müssen im Vorfeld der Beschlussfassung aktiv genutzt werden.
Dazu gehören u.a.:- umfassende Informationsrechte (Verschmelzungsbericht, Prüfungsbericht, Offenlegung des Eigenkapitals, der Rücklagen, der stillen Reserven soweit rechtlich möglich),
- Anträge auf Änderung des Verschmelzungsvertrages (z.B. anderes Umtauschverhältnis, Zahlung eines Ausgleichsbetrages),
- ggf. Einschaltung unabhängiger Sachverständiger.
- Vorstände und Aufsichtsräte stehen stärker in der Verantwortung.
Wenn – wie der BGH ausdrücklich betont – die Mitglieder die Finanzhoheit haben sollen,- müssen die Organe sie so informieren, dass sie diese Hoheit tatsächlich ausüben können,
- müssen Alternativen zur Verschmelzung (Spaltung, Ausgliederung, Formwechsel) seriös geprüft und dargestellt werden.
- Prüfungsverbände geraten in ein Legitimationsdilemma.
Wenn das Prüfungsmonopol mit dem Schutz der Mitglieder begründet wird,
- können Prüfungsverbände sich bei Fusionsgutachten nicht auf formale Rechtskontrolle beschränken,
- sondern müssen die Auswirkungen auf die Mitgliederförderung und Vermögensposition offen ansprechen.
7. Fazit: Juristisch entschieden, politisch offen
Der Fall II ZB 7/24 zeigt exemplarisch, wie weit sich die praktische Behandlung von Genossenschaftsmitgliedern von der klassischen Genossenschaftsidee entfernt hat:
- Juristisch ist die Lage nun klar:
- Das Nominalwertprinzip bei Genossenschaftsverschmelzungen ist vom BGH bestätigt und vom BVerfG nicht beanstandet.
- Ohne besondere Regelungen in Satzung oder Verschmelzungsvertrag bleibt es beim Nennwert – auch wenn auf der Bankbilanz Millionen an Eigenkapital und stillen Reserven stehen. (Juris Bundesgerichtshof)
- Politisch und genossenschaftlich ist die Frage aber alles andere als erledigt:
- Wenn Genossenschaftsmitglieder de facto wie Kleinanleger ohne Wertsteigerungsbeteiligung behandelt werden, stellt sich die Frage, ob das noch der Wesensbestimmung der Genossenschaft (§ 1 GenG) entspricht. (wisotypo3.uni-koeln.de)
- Das BVerfG hat das Thema Eigentums- und Gleichheitsrechte der Mitglieder im Verschmelzungsfall (noch) nicht inhaltlich durchdrungen – es schweigt. (Genonachrichten)
Für die genossenschaftliche Bewegung bedeutet das:
- Man kann sich nicht darauf verlassen, dass Gerichte von sich aus für eine gerechtere Beteiligung der Mitglieder sorgen.
- Stattdessen müssen Mitglieder, kritische Aufsichtsräte und unabhängige Experten das, was der BGH als „Finanzhoheit“ der Mitglieder bezeichnet, praktisch mit Leben füllen –
durch Information, Gegenanträge, alternative Modelle und gegebenenfalls auch durch politische Forderungen nach einer Reform des Umwandlungsgesetzes.
Solange das nicht geschieht, bleibt das Nominalwertprinzip das, was Scheumann sehr treffend beschreibt:
ein juristisch sauber verpacktes Instrument, mit dem das von Mitgliedern aufgebaute genossenschaftliche Vermögen Schritt für Schritt in immer größere Einheiten verschoben wird – ohne dass die Mitglieder wirklich entscheiden oder teilhaben.
8. EU-Bankenregulierung, Zentralbankpolitik und Genossenschaften
Der vom BGH bestätigte Nominalwertansatz fällt in eine Zeit, in der die Bankenregulierung in der EU und die Politik der EZB aus Sicht vieler Beobachter systematisch zu einer Zentralisierung des Bankensektors und zur Schwächung des Mittelstandes beitragen. Besonders pointiert beschreibt das Richard A. Werner in seinem Aufsatz
„Japanese Lesson: Crises are Created to Centralise Control and Destroy the Middle Class“.
8.1 Werners Kernthese: Krisen als Instrument zur Zentralisierung
Werner zeichnet am Beispiel Japans nach, wie eine bewusst herbeigeführte und verlängerte Krise (Platzen der Immobilienblase, anschließende Kreditklemme) dazu genutzt wurde,
- die Zahl der Banken drastisch zu reduzieren,
- Kreditströme von kleinen und mittleren Unternehmen hin zu großen, börsennotierten Konzernen und Spekulation in Vermögenswerte zu lenken,
- so die Macht der Zentralbank und weniger Großakteure zu stärken und
- die Mittelschicht zu schwächen.
Zentral ist dabei seine Beobachtung:
Entscheidend für Wachstum ist nicht der Zinssatz, sondern wofür Banken Kredit schaffen – für produktive Investitionen der Realwirtschaft oder für den Kauf bestehender Vermögenswerte (Immobilien, Aktien). Nur im ersten Fall entsteht nachhaltiges Wachstum; im zweiten Fall vor allem Blasen und spätere Krisen.
8.2 Übertragung auf Europa und Deutschland
Werner argumentiert, dass die EZB und die EU-Institutionen seit Jahren ähnliche Muster wie zuvor in Japan verfolgen:
- Hohe und komplexe Regulierungskosten (Basel/CRR, Meldewesen, Stresstests) treffen kleine, regionale Banken überproportional hart.
- Die EZB nutze ihre Rolle als Aufseherin, um Geschäftsmodelle von Regionalbanken zunehmend auf Immobilienfinanzierung zu drängen, während klassische Unternehmenskredite an kleinere Betriebe unter Druck geraten.
- Parallel dazu nehme die Zahl kleiner Institute in Deutschland und Europa ab – genau die Banken, die traditionell den Mittelstand, kleine Betriebe und die kommunale Wirtschaft tragen.
In dieser Logik ist Regulierung nicht neutral, sondern wirkt wie ein „Größenvorteilsprogramm“ für Großbanken und ein Schrumpfungsprogramm für lokal verankerte Institute – und damit auch für die auf sie angewiesenen Unternehmen.
Für Genossenschaftsbanken bedeutet das:
- Sie sind doppelt belastet – durch denselben Regulierungsrahmen wie Großbanken und durch Verbundstrukturen, die oft eher auf Skalierung als auf Erhalt lokaler Selbständigkeit setzen.
- Fusionen erscheinen vor diesem Hintergrund als „alternativlos“, obwohl sie aus Sicht der Mitglieder und der regionalen Wirtschaft deutlich ambivalenter sind.
8.3 Zusammenspiel mit dem Nominalwertprinzip
Genau hier verschränkt sich Werners makroökonomischer Befund mit dem BGH-Beschluss:
- Regulierung erzeugt Fusionsdruck
Wenn der Regulierungsaufwand pro Bank steigt, wird es betriebswirtschaftlich attraktiv, kleine Häuser in größere Einheiten zu verschmelzen, um Fixkosten zu verteilen. - Nominalwertprinzip erleichtert Vermögensverschiebung
Der vom BGH bestätigte Grundsatz, dass Mitglieder bei Verschmelzungen nur den Nominalwert ihres Geschäftsguthabens mitnehmen, macht Fusionen für die „aufnehmende Seite“ besonders bequem:- Eigenkapital, Rücklagen und stille Reserven der kleinen Bank wandern in den größeren Verbund,
- die Mitglieder der verschwundenen Genossenschaft erhalten keinen Anteil am vollen Wert, sondern nur eine Umbuchung ihres Guthabens.
- Ergebnis im Sinne der Zentralisierung
In Werners Begrifflichkeit ist das ein typischer Schritt zur „Zentralisierung der Kontrolle“ und zur schleichenden Entwertung der Mittelschicht:
- Die lokale Genossenschaft vor Ort verschwindet,
- das von den Mitgliedern über Jahrzehnte aufgebaute Vermögen landet in zentralisierten Strukturen,
- die Entscheidungsmacht rückt weiter weg von der Region und ihren Mitgliedern.
8.4 Perspektive der Geno-Banken
Wenn man diese Ebene ernst nimmt, ist das Nominalwertprinzip nicht nur ein zivilrechtliches Detail, sondern Teil eines größeren Trends:
- Zentralbank- und Regulierungspolitik begünstigt große, zentralisierte Einheiten und schwächt dezentrale Strukturen.
- Genossenschaftsbanken verlieren in diesem Prozess Schritt für Schritt ihre Rolle als unabhängige, lokal gesteuerte Finanzierungsinstanzen des Mittelstandes.
- Das BGH-Urteil beseitigt zugleich jeden Anreiz, die Mitglieder am wachsenden Wert „ihrer“ Bank zu beteiligen, und macht Fusionen damit noch leichter verkraftbar – für alle außer den Mitgliedern.
Damit schließt sich der Kreis zur Ausgangsfrage:
Wer die genossenschaftliche Idee als Gegenmodell zur konzentrierten Macht im Finanzsystem erhalten will, muss nicht nur über Satzungen und Prüfungsverbände diskutieren, sondern auch über die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen – und darüber, wie viel Zentralisierung wir uns leisten wollen, bevor die genossenschaftliche Vielfalt irreversibel verloren geht.



