Genossenschaftsrecht- Politik darf sich nicht von Partikularinteressen lenken lassen (2)

Berlin/Bonn/Bullay den 15.08.2025. Selten hat ein Gesetzentwurf in der Genossenschafts­szene so viel Resonanz ausgelöst wie der Referentenentwurf zur Reform des Genossenschaftsgesetzes (GenG) 2025.
Innerhalb von sechs Wochen gingen beim BMJV (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz) über 25 fundierte Stellungnahmen ein – von Prüfungs- und Spitzenverbänden über Branchenorganisationen bis hin zu Graswurzelinitiativen und Einzelpersonen.

Politik darf sich nicht von Partikularinteressen lenken lassen. Das gilt insbesondere für die unter stattlicher Aufsicht agierende genossenschaftliche Selbstverwaltungsorganisation.

Die Vielzahl an Stellungnahmen zur Genossenschaftsrechtsreform vermittelt den Eindruck eines breiten fachlichen Diskurses – doch bei genauer Betrachtung entpuppen sich zentrale Gegenpositionen als klar interessengeleitet. Einige Positionen sind nicht Ausdruck eines öffentlichen Interesses, sondern dienen der Stabilisierung bestehender Einnahmestrukturen.

Prüfungsverbände verteidigen ihr „Monopol“ unter dem Deckmantel von Qualitätssicherung, obwohl ihnen im genossenschaftlichen Alltagsgeschäft häufig das Interesse an Transparenz und Mitbestimmung abgesprochen werden muss. Die ursprüngliche Aufgabe der Verbände, der Schutz der Mitglieder vor ihren Organen, ist schon lange in Vergessenheit geraten. Auch die Notariatsorganisationen warnen vor Identitätsrisiken, obwohl sie in Wahrheit ihre flächendeckenden Beurkundungspflichten retten wollen – mitsamt der Gebührenstruktur. 

Die beiden Spitzenverbände argumentieren im Gleichklang um ihre Monopolstellung zu verteidigen. Es geht um den Schutz der genossenschaftlichen Werte, der Marke Genossenschaft aber auch um den Erhalt bezahlbaren Wohnraums, der eng an den Begriff Nutzungsgebühr angelehnt wird. Die real bestehenden Interessensunterschiede und Machtasymmetrien zwischen Vorständen und Mitgliedern bleiben unangetastet. 

Das Justizministerium und der Gesetzgeber müssen erkennen: Wer sich hier gegen mehr Demokratie, Effizienz und absoluter Transparenz stellt, spricht oft nicht im Namen der Mitglieder – sondern aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Diese Interessenlage ist legitim, aber sie darf nicht den Fortschritt der Rechtsform blockieren oder wie nach Auffassung von igenos auch nicht zum reinen Selbstzweck werden.

Die GenoNachrichten haben alle Eingaben ausgewertet und miteinander verglichen.

Unsere Bilanz: Ein breiter Konsens für digitale Erleichterungen – und ein massiver Konflikt rund um das Herzstück der Genossenschaft: § 1 GenG – der die Förderung der Genossenschaftsmitglieder durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb festschreibt.

Einigkeit bei Digitalisierung und Transparenz Online-Gründung wird zur neuen Normalität.

17 von 25 Stellungnahmen unterstützen die Möglichkeit, Genossenschaften künftig vollständig digital zu gründen. Die Initiative #GenoDigital verweist auf über 120 Tage Eintragungsdauer als aktuellen Schnitt – deutlich zu lang im Vergleich zu anderen Rechtsformen.

Hybride Versammlungen erhalten Rückhalt.

18 Eingaben begrüßen dauerhafte Online- oder Hybridformate für General- und Vertreterversammlungen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) argumentiert, das sei schlicht gelebte Realität – etwa bei Bauhandwerkern oder mobilen Genossenschaften.

Transparenzdatenbank für Prüfverbände.

Zivilgesellschaftliche Stimmen wie igenos, GvU oder BzFG fordern eine öffentlich zugängliche Datenbank für Prüfkosten, Prüfungsdauer und Beschwerden. 16 Einreichende unterstützen das – lediglich zwei Prüfungsverbände äußern Bedenken.

Der große Streitpunkt: § 1 GenG – Förderauftag in Gefahr?

Der härteste Konflikt entbrennt nicht bei Prüfkosten oder Sitzungsformen – sondern am vermeintlich unantastbaren § 1: „Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder.“

Mehrere Stellungnahmen warnen vor einer Erosion der Förderidee, weil immer mehr Unternehmen die Genossenschaftsform als Kapitalvehikel oder Plattformstruktur missbrauchen – ohne messbare Vorteile für die Mitglieder. Wobei eine Zahlung einer Rendite nicht als Förderzweck ausreicht. Zugleich zeigen die Prüfberichte großer Genossenschaften, dass reale Förderleistungen heute oft kaum noch stattfinden: Rücklagen werden gehortet, Rückvergütungen gestrichen, Mitglieder zu bloßen Kunden gemacht indem z.B.  Nutzungsentgelt und Miete systematisch gleich gesetzt werden. 

„Wenn § 1 zur leeren Formel wird, verliert die Rechtsform Genossenschaft ihren Markenkern.

Typische Konfliktfelder:

TypBeispielRisiko
Kapitalanlage-eGCrowd-Invest-eGKeine Naturalförderung – Mitglieder fungieren als Anleger.
Wohnungs-eGMiete ersetzt Nutzungsgebühr Förderung entfällt, Rücklagen steigen.
Banken-eGGleichbehandlung von Mitgliedern und NichtmitgliedernFörderung entfällt Mitgliedsstatus wird bedeutungslos.

Drei zentrale Risiken einer Aufweichung

  1. Rechtsform-Missbrauch Investoren könnten sich die Rechtsform  als schlanke „Holding Gesellschaft“  zunutze machen – ohne echtes Förder- oder Mitgliederinteresse. Die Marke Genossenschaft wird zum Franchisekonzept umgebaut.
  2. Demokratieverlust. Standardisierte Satzungen, mangelhafte Transparenz, Vertreterversammlungen, Manipulation durch Blankovollmachten, Missachtung der Prüfungsverbände, systematischer Ausschluss lästiger Mitglieder.Große Rücklagen entkoppeln den Vorstand vom Mitgliederkapital. Entscheidungen wandern in geschlossene Aufsichtsräte.
  1. Regulierungsfolgen Entfällt der der genossenschaftliche Fördercharakter steht die Rechtsform Genossenschaft  zur Disposition. Im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften besteht der Auftrag einer Genossenschaft –  nicht in der Förderung des  Gesellschaft durch Gewinnmaximierung und Rücklagenthesaurierung, sondern gemäß § 1 GenG in der Förderung der eigenen Mitglieder. Daraus ergibt sich, dass Genossenschaften ein den Kapitalgesellschaften diametral entgegengesetztes Interesse verfolgen müssen.
    (c)2025 coopgo Arbeitskreis Cooperative Law
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Gabriele Franke
    26. August 2025 10:27

    Lieber Bernd, wie ist der folgende Satz zu verstehen. Handelt es sich um Wohnungen für Flüchtlinge ?
    „Aktuell ist fast die Hälfte der 7831 Wohnungen an Nichtmitglieder vergeben! Es ist abzusehen, dass die Genossenschaft bald keine Genossenschaft mehr ist, sondern eine ganz normales Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen.“

  • Bernd Landgraf
    18. August 2025 19:53

    Zur Rolle der Prüfverbände in den Wohnungsbaugenossenschaften
    Welche Prüfverbände von Wohnungsbaugenossenschaften stärken die Interessen der Mitglieder? Die Prüfverbände, die im GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) organisiert sind, können sich schon aus Gründen des Interessenskonflikts gem. des Förderzwecks der Genossenschaften nicht für die Interessen der Genossenschaftsmitglieder einsetzen.
    Die Prüfverbände die im Dachverband des GdW organisiert sind, unterstützen die stetig steigenden Mietpreise, in Genossenschaften Nutzungsentgelte, vor allem im Interesse der privaten Immobilienwirtschaft. Die großen Immobilienunternehmen wie, Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG Immobilien, TAG Immobilien, Aroundtown, GSW Immobilien, Deutsche EuroShop, Alstria Office Reit, Hamborner Reit und PATRIZIA Immobilien, haben das Ziel maximale Profite zu erzielen.
    Unter anderen erreichen sie das, in dem der Mietspiegel bundesweit nach oben gedrückt wird und die Genossenschaften sollen hier mitwirken, vor allem, wenn die Forderung von Nutzungsentgelterhöhungen sich nach dem Mietspiegel richten sollen. An dieser Stelle müssten die Prüfverbände eingreifen, weil das ein Widerspruch zum Förderzweck der Genossenschaftsmitglieder ist. Die Prüfverbände arbeiten aber voll dagegen. Das deutlichste Beispiel sind die Aktionen gegen den Mietendeckel. https://bbu.de/beitraege/bbu-mietendeckel-fuer-brandenburg-waere-unsinn
    Eine Argumentation für den Mietendeckel kann man auf folgender Web-Site nachlesen: https://www.rosalux.de/publikation/id/41552/der-deckel-und-die-gerechtigkeit
    10 EUR/qm kalt Miete/Nutzungsentgelt ist schon für sehr viele Wohnungssuchende kaum zu stemmen. 10 EUR/qm kalt Miete/Nutzungsentgelt sind aber meist schon längst überboten, bei den kommunalen Wohnungsgesellschaften aber insbesondere bei den privaten Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen, da liegen die Kalt-Mieten, oft über 20 bis 25 EUR/qm. Wer kann das bezahlen?
    Wenn der Mietendeckel Quatsch ist und nur der Markt die Mietpreise regelt, dann stellt sich die Frage: Warum bauen die Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen nicht mehr Wohnungen?
    Sind die privaten Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen wirklich daran interessiert den Wohnungsmangel zu beheben? Nein! Wenn es keinen Wohnraumangel mehr gibt, könnten diese Unternehmen nicht mehr die Preise hoch- drücken. Mit dem Wohnungsmangel können diese Unternehmen leichter viel mehr Geld verdienen.
    An dieser Stelle müssten die Prüfverbände im Interesse der Genossenschaftsmitglieder tätig werden, aber genau das passiert nicht.
    Die Prüfverbände können eigentlich nur für eine Eigentumsform tätig werden. Der Interessenskonflikt der Prüfverbände sollte schnellstens aufgelöst werden. Im Internet kann man nachlesen:

    „Die Aufgaben der Prüfverbände sind im Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelt und umfassen die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der ordnungsgemäßen Geschäftsführung von Genossenschaften. Sie stellen sicher, dass der Förderzweck der Genossenschaft eingehalten wird und die Interessen der Mitglieder gewahrt bleiben.
    Sie kontrollieren, ob die Genossenschaften ihre Geschäfte ordnungsgemäß führen und die gesetzlichen Bestimmungen sowie die Satzung einhalten.

    Die Prüfverbände stellen sicher, dass die Genossenschaften ihren Förderzweck, also die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder, erfüllen.“

    Rolle der Vorstände in den Wohnungsbaugenossenschaften
    Ein großes Problem für die Wohnungsbaugenossenschaften ist, dass ausschließlich die Vorstände über die Mitgliedschaft in den Wohnungsbaugenossenschaften entscheiden. Sicher gibt es auch Wohnungsbaugenossenschaften wo auch der Aufsichtsrat etwas mitbestimmen kann. Aber grundsätzlich bestimmen die Vorstände. Vorstände die meist nicht von Hause aus Mitglied der Genossenschaft sind, sondern überwiegend von außerhalb berufen werden, möglichst aufgrund fachkundiger Qualifikation in der Immobilienwirtschaft. Somit müssen diese berufenen Vorstände nicht vom Grundsatz Kenntnisse zur Genossenschaftsidee haben, Grundkenntnisse vom Genossenschaftsgesetz und der Gleichen. Aber nach der Berufung haben diese Vorstände die ausschließliche Macht über die Aufnahme weiterer Mitglieder. Somit kann der berufene Vorstand nach seinem Ermessen Mitglieder aufnehmen. Damit besteht sehr leicht die Gefahr, dass das Identitätsprinzip der Genossenschaft ausgehebelt wird. https://www.bmjv.de/DE/themen/wirtschaft_finanzen/handels_gesellschaftsrecht/genossenschaftsrecht/genossenschaftsrecht_artikel.html
    Ein besonderes negatives Beispiel ist die Genossenschaft Johannstadt in Dresden.
    Die Satzung ermächtigt den Vorstand die Vergabe an Wohnraum für Nichtmitglieder.
    „(3) Die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf Nichtmitglieder ist zugelassen. Der Vorstand und Aufsichtsrat beschließen gemäß § 28 die Voraussetzungen.“

    Aktuell ist fast die Hälfte der 7831 Wohnungen an Nichtmitglieder vergeben! Es ist abzusehen, dass die Genossenschaft bald keine Genossenschaft mehr ist, sondern eine ganz normales Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen.
    Schlussfolgerungen:
    1. Die Wohnungsbaugenossenschaften brauchen eigene Prüfverbände.
    2. Die Aufnahme von Mitgliedern in eine Genossenschaft darf nicht ausschließlich in den Händen des berufenen Vorstandes liegen, sondern bedarf einer Aufnahmekommission der Mitglieder, die nicht in Genossenschaftsorganen tätig sind.
    3. Genossenschaftswohnungen dürfen nur an Genossenschaftsmitglieder vergeben werden. Entsprechend sollte in die Satzungen und Nutzungsverträge folgendes aufgenommen werden: Das Recht zur Nutzung der Wohnung ist an die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft gebunden.

  • Bernd Landgraf
    15. August 2025 13:43

    Wie der Förderzweck unterlaufen wird zeigt die WG Johannstadt eG!
    siehe Wikipedia
    Die Wohnungsgenossenschaft Johannstadt eG – kurz WGJ – ist eine Wohnungsgenossenschaft, welche hauptsächlich Wohnimmobilien in verschiedenen zentralen und östlichen Stadtteilen Dresdens, wie z. B. der namensgebenden Johannstadt, der Inneren Neustadt, der Pirnaischen Vorstadt, der Seevorstadt-Ost und in Striesen bewirtschaftet.[3] Die Genossenschaft hat 8105 Mitglieder[4] und gehört mit 7831 Wohnungen[4] (beide Zahlen: 31. Dezember 2023), von denen knapp die Hälfte von Mitgliedern bewohnt werden, zu den großen Wohnungsunternehmen der sächsischen Hauptstadt.[5]
    Genossenschaft
    Gegenstand der Genossenschaft ist laut Eintrag im Genossenschaftsregister (Amtsgericht Dresden, GnR 26) u. a. „die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung“ sowie „die Bewirtschaftung, Errichtung, der Erwerb, die Veräußerung und die Betreuung von Bauten in allen Rechts- und Nutzungsformen“.[6] Im Jahr 2017 erwirtschaftete die eG mit 81 Angestellten (davon 3 Auszubildende) bei einer Bilanzsumme von 259,4 Mio. EUR einen Jahresumsatz von 41,8 Mio. EUR und einen Jahresüberschuss von 8,8 Mio. EUR.[7]

    Man versucht den Förderzweck der eigenen Satzung zu unterlaufen:
    § 2 Gegenstand
    (1) Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung.

    Was hat das noch mit dem Förderzweck zu tun, wenn in dieser WBG schon fast die Hälfte aller Wohnungen an Nichtmitglieder vergeben sind! In 10 Jahren sind die Mitglieder mit Wohnungsnutzung in der Minderheit.
    Der Vorstand löst, so hat es den Anschein, die WBG Stück für Stück auf. Wo bleibt hier der Aufschrei des AR, der Vertreter und des Prüfverbandes?

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