WV 23 März 2020. Entfernen sich zu viele Genossenschaften von ihrer Leitidee?

Allgemein

Bullay, den 23.03.2020. Mit der Aktion WV 23 März 2020 erinnert igenos heute an eine Reichstagsdebatte vom 23.März 1889. Schon damals ging es um den Schutz der Genossenschaftsmitglieder vor ihren Verwaltungsorganen. Diese Reichstagsdebatte führte letztendlich auch zur Gründung der Prüfverbände. Aus diesem Grund befassen sich die Genonachrichten vom 23.März 2020 mit noch einmal mit dem höchst beachtenswerten Beitrag: Entfernen sich viele Genossenschaften von ihrer Leitidee?“  
Der Autor Prof. Volker Beuthien befasst sich  mit den genossenschaftlichen Grundprinzipien.   Beuthien ist emeritierter Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Philipps-Universität Marburg. Außerdem war Beuthien fast 40 Jahre Mitglied  im DGRV Rechtsausschuss. Beuthien weiß somit  wovon er spricht.  Die GenoNachrichten bereiten einige  der in der Zeitschrift für Rechtspolitik, Heft 04/2019 S.108 vorgestellten Thesen Beuthiens  auf,   vertiefen und interpretieren diese aus dem Blickwinkel der Genossenschaftsmitglieder.

Worum geht es in der Abhandlung? Hier nur einige der erörterten Kritikpunkte – aus dem Beitrag und aus unserer Einschätzung ergänzt kommentiert:

1. Immer stärkere Machtverlagerung auf den Vorstand 

Professionalisierung des Managements entfernt den Vorstand immer mehr von den Mitgliedern, somit von den Eigentümern der Genossenschaft. Die Mitglieder werden von der Leitung ihres Unternehmens zunehmend als bloße Kunden gesehen und behandelt. Mit dem Größenwachstum ging es mit der genossenschaftlichen Selbstverwaltung bergab. Der als verlängerter Arm der Mitgliederbasis gedachte Aufsichtsrat ist nicht mehr in der Lage, die entstandene Kluft zwischen dem Management und der Basis zu kompensieren. Dadurch erscheinen viele Genossenschaften durch ihre angestellten Führungskräfte vereinnahmt.

2. Zu weitreichendes Nichtmitgliedergeschäft

Dieses Geschäft mit genossenschaftsfremden Kunden erleichtert verständlicherweise die Führung des Genossenschaftsunternehmens. Hat man doch mit diesen externen Kunden nicht weiter zu tun, denn die Kapitaleinlagen werden ja von den Mitgliedern erbracht. Dieser Vorteil bequemer Nur-Geschäftsbeziehungen wird nicht selten damit belohnt, dass die Außenstehenden eine konditionengleiche Behandlung wie Mitglieder erfahren. Das diskriminiert sowohl die Mitgliedschaft als auch die Mitglieder. Und es erklärt nebenbei, weshalb das Bemühen, Nichtmitglieder als Mitglied zu werben, kaum mehr Bedeutung hat, wenn der Blick vor allem auf die Figur des Kunden gerichtet ist.

3. Förderung der Region für die Mitglieder

Genossenschaften heben in ihren Geschäftsberichten hervor, zum Wohl der Mitglieder (!?) die Heimatregion mit Sach- und Geldspenden zu unterstützen. Der Förderauftrag des Genossenschaftsgesetzes deckt dieses inzwischen vielfach beachtliche Sozialengagement keineswegs. Vielmehr sind ausschließlich die Mitglieder – und zwar gemäß Gesetz vorrangig über Geschäftsbeziehungen mit ihrem gemeinschaftlichen Unternehmen – zu fördern. Regionalförderung kann von den Mitgliedern richtigerweise als jenseits des genossenschaftlichen Auftrags vorgenommene Förderung der genossenschaftlichen Außenwelt gesehen werden. Auch als wohlklingend getarntes Werbeinstrument oder zumindest als Public Relations-Maßnahme.

Berechtigtes Bedauern der einen oder anderen Entwicklung von Genossenschaften ist nicht neu. Darauf wurde bereits vor Jahrzehnten hingewiesen. Das war einmal. Allem Anschein nach bleibt der heutigen Genossenschaftswissenschaft par ordre du mufti die Augen verbunden vor berechtigter Kritik an schleichender Artverfremdung insbesondere der durch Mehrfachfusionen entstandenen Großgenossenschaften. Das Management der Genossenschaft und die Genossenschaftsverbände haben ungehindert durch staatliche Kontrollorgane, die erwiesener ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen, eine Machtposition geschaffen, die es ihnen ermöglicht, dem demokratischen Strukturprinzip der Genossenschaften Platzverweis zu erteilen. Da hört man Heinrich Heine sagen: „Denk´ ich an Genossenschaften in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“

igenos Arbeitsgruppe Genossenschaftsrecht

Entfernen sich immer mehr Genossenschaften von Ihrer Leitidee?
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Dialog zum genossenschaftlichen Förderauftrag
Sind Genossenschaften am Gemeinwohl orientierte Unternehmen?
Genossenschaften und Sozialismus.

igenos Arbeitskreis Geno-Politik

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