Erster deutscher Genossenschafts-Lehrstuhl vor 90 Jahren

Halle an der Saale, 28. Januar 2019 (geno). Vor 90 Jahren wurde in der Universität Halle an der Saale der erste Genossenschafts-Lehrstuhl in Deutschland eingerichtet. Als Ordinarius und ordentlicher Professor wurde Ernst Grünfeld berufen. Er hatte bereits seit 1923 für den rapiden Ausbau des dortigen genossenschaftlichen Seminars gesorgt. Der renommierte Genossenschaftswissenschaftler hatte in den Jahren 1921 bis 1934 dreißig Dissertationen zu Themen der Kooperationswirtschaft als Doktorvater betreut. Unter den Promovenden waren auch Kandidaten aus dem Ausland – beispielsweise aus Dänemark, Bulgarien und Georgien. im Jahr 1931 wurde Grünfeld zum Generalsekretär der in Basel ansässigen Internationalen Vereinigung zum Studium des Genossenschaftswesens gewählt. Seine akademische Karriere endete abrupt unter der Naziherrschaft. Am 7. April 1933 wurde er aus der Universität entlassen. Er war Jude und durfte gemäß dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nicht mehr als Hochschullehrer tätig sein.

Grünfeld betrachtete vor allem den demokratischen Effekt und die Korrektivfunktion der Genossenschaft auf die Gesellschaft. Die Qualität und der Umfang seiner Publikationen innerhalb kurzer Zeit machen Ernst Grünfeld zu einem wissenschaftlichen Vorbild, in dessen Tradition und Erbe die heutige Interdisziplinäre Wissenschaftliche Einrichtung Genossenschafts- und Kooperationsforschung (IWE GKF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg steht. Deren jetziger geschäftsführender Direktor, Prof. Winfried Kluth, erläuterte die Ausnahmeerscheinung Grünfelds in der Genossenschaftsforschung. „Einerseits hatte Grünfeld durch seine beruflichen Aufenthalte in Asien und die Beobachtungen der dortigen Hafenkolonien einen internationalen Vergleich und damit eine andere Perspektive auf die Dinge. Andererseits war der soziologische transdisziplinäre Ansatz seiner Forschungen, die sich damit nicht nur auf die wirtschaftswissenschaftliche Dimension beschränkten, für die damalige Zeit schon sehr modern.“

Ernst Grünfeld war von 1910 bis 1912 im Ostasiatischen Wirtschaftsarchiv der Südmandschurischen Eisenbahn AG in Tokio tätig. Reisen führten ihn in die Mandschurei und nach Korea. Im Zentrum seiner Habilitationsschrift stehen die Hafenkolonien in China. Kiautschou galt damals als Musterkolonie. ++ (ws/mgn/28.01.19 – 018)

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