Fritz Vogt und die Raiffeisenbank Gammesfeld

Allgemein

Gammesfeld, den 16.02.2021. Es gab eine Zeit, da war Fritz Vogt (1930-2020), der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenbank Gammesfeld in aller Munde. Was hatte er getan: Er hatte sich gegen die damalige Bankenaufsicht gewehrt. Es war die Zeit, in der die Dorfbanken noch Banken waren, in denen das Dorf sein Geld sparte, sich gegenseitig verlieh, sich landwirtschaftliche Güter verschaffte und in denen jeder jeden kannte. Sie sollten nun in den prosperierenden 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts globalisiert werden. Statt im dörflichen Umfeld die bewährten Strukturen der Eigenständigkeit und kleinen, schlagkräftigen Einheiten zu erhalten, wurde von Landwirten, Banken, Genossenschaftsverbänden und letztlich auch der Politik das große Rad gedreht und von internationalen Finanzmärkten, von großer Macht und von unbegrenztem Wachstum geträumt. Wer das Alte im Neuen bewahren wollte, wurde belacht oder zur Seite gedrängt. 

Fritz Vogt, von Beruf Landwirt, war ab 1967 in dritter Generation Geschäftsführer der Raiffeisenbank Gammesfeld und leistete, unterstützt von seinen Vorstandskollegen, besonders dem Vorsitzenden Fritz Hahn, Widerstand. Er war der Auffassung, Gier und unbegrenztes Wachstumsstreben bekämpfen zu müssen. Ihm ging es dabei um die heute längst wieder modernen Begriffe der Verantwortung für wirtschaftliches Handeln (vgl. Lieferkettengesetz) und der Kritik an der Entkoppelung des Kapitals, des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen (vgl. „Fridays for Future“; SoLaWi) und der Chancengleichheit unter allen Menschen. In einem Interview betonte er: „Raiffeisens Ziel war: So leben, dass alle anderen Menschen auf der Welt genauso leben können“. (S. Unbehauen, „Gespräche mit Fritz Vogt, Du sollst nicht stehlen“, Hohenlohe, 2020, S.65). Die Lizenz, Wertpapiere vertreiben zu dürfen, gab er zurück, um nicht die Spekulanten reich zu machen. (ebda. S 72) Genossenschaftsbanken sollten für ihre Mitglieder da sein und eine der Voraussetzungen dafür sah er darin, dass man sich untereinander kennt und vertraut, Verantwortung übernimmt und gemeinsam den Verschuldungsspiralen entrinnt, entsprechend der Gründungsidee Raiffeisens (79f.). Das sah die Genossenschaftsorganisationen nun plötzlich anders. Getreu nach Schulze-Delitzsch, der Genossenschaften als Mittel der Hebung von Wohlstand ansah, (S.81) wurde das bis 1970 gültige Prinzip, dass es in den Dörfern eine Raiffeisenbank und auf Gemeindeebene eine Volksbank gibt, aufgegeben. Im Landkreis Schwäbisch-Hall sank die Zahl der Dorfbankgenossenschaften innerhalb von zehn Jahren um 50 Prozent und heute existieren in Deutschland noch knapp 800 von im Jahr 1970 vorhandenen 7.096 Volks- und Raiffeisenbanken. Vogt wurde für die Verbandsfunktionäre zu einem  Hinterwäldler, Kommunisten und Aufrührer, den man unter Kontrolle bringen musste. 

Der offene Konflikt Vogts mit den Institutionen brach aus, als er das Vier-Augen-Prinzip, das 1976 aufgrund einer Novelle des Kreditwesengesetztes (KWG) eingeführt wurde, aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen den Vorstandsmitgliedern als erfüllt sah (vgl. S.99-103). Zwar war Vogt alleiniger Geschäftsführer, aber der Vorsitzende der Bank arbeitete nebenamtlich täglich zwei Stunden für die Bank und alle Entscheidungen wurden im Vorstand abgestimmt. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAK) interpretierte das Gesetz so, dass zwei Hauptamtliche Geschäftsführer Pflicht seien und wer sich das nicht leisten könne, fusionieren müsse – ein Weg, den fast alle kleinen Darlehenskassen ging. Die Raiffeisenbank Gammesfeld ließ dagegen die 5jährige Übergangsfrist und deren Verlängerung verstreichen, worauf ihr 1984 vom BAK die Betriebserlaubnis entzogen wurde. Um einer Liquidierung vor Urteilsverkündigung zu entgehen, klagte die Bank mehrfach erfolglos, obwohl ihr Wirtschaftlichkeit und die Umsetzung der Raiffeisen´schen Prinzipien testiert wurde, konnte aber weiter arbeiten. Schließlich wandten sie sich an den Petitionsausschuss des Bundestages, der den Bankbetrieb bis zum Urteil empfahl. Das BAK forderte nun 20.000 Mark Zwangsgeld und Gebühren für die jeweiligen Verwaltungsakte. Auch das Gutachten von Staatsrechtler, Prof. Ferdinand Kirchhoff, späterer Verfassungsrichter, der das Vier-Augen-Prinzip als erfüllt sah und die Qualifikation von Fritz Hahn ausreichend, half zunächst nicht. Es gab eine Anklage wegen des Betreibens von Bankgeschäften ohne Erlaubnis, die vom Richter glücklicherweise nicht verhandelt wurde, der Aufsichtsrat wurde vom BAK aufgefordert, den Bankvorstand abzuberufen und 1986 wurde vom OVG die Klage gegen den Entzug der Betriebserlaubnis abgelehnt, wobei die Richter das Vier-Augen-Prinzip als umgesetzt sahen, aber die Qualifikation von Fritz Hahn anzweifelten. Eine Beschwerde gegen das Urteil wurde wiederum zugelassen und 1987 vom Bundesverwaltungsgericht angeordnet, dass die Klage gegen den Entzug der Betriebserlaubnis doch aufschiebende Wirkung hat. Auch hier sah man das Vier-Augen-Prinzip umgesetzt und verwies die Frage nach der Qualifizierung Fritz Hahns zurück ans OVG. 1990 entschied das OVG Berlin positiv im Sinne der Bank und gegen die Forderungen der BAK. Und so arbeitet die Bank noch heute. 

Den Vorgang erklärt Fritz Vogt mit folgenden Worten: „Man hat lästige, gesunde Konkurrenz ausgeschaltet. Dass selbsterarbeitetes Geld selbst verwaltet wird, hat den Gedanken der Konzentration einfach gewaltig gestört. Und der Gesetzgeber war sich nicht zu schade, gegen besseres Wissen eine demokratische Einrichtung – dass der Mensch selbst über sein wirtschaftliches Wohlergehen bestimmt – abzuschaffen“. (S. 105) Er berichtet vom Druck der eigenen Organisation, mit der Nachbargemeinde zu fusionieren. Der Bedrohung durch Zwangsgelder, Bußgelder, Zwangsfusionen. Die Idee, Fritz Hahn zum zweiten Geschäftsführer zu machen, schied aus, dazu war die Bank mit 150 Mitgliedern zu klein, womit hätte man den beschäftigen sollen (S. 105f.). Nicht so einfach war die Rechtsanwaltssuche, als man dann einen hatte, wurde dieser von einer außerordentlichen Generalversammlung bestätigt, sonst hätte man sich den Kampf gegen den Staat nicht getraut. Gewonnen haben sie dann mit dem Satz „Der Vorstand führt die Geschäfte in eigener Verantwortung“ (S.108), denn damit war das Vier-Augen-Prinzip erfüllt. Die Kosten für das Verfahren mussten sie selbst zahlen, 55.000 Mark. Das Bußgeld wurde ohne Zinsen zurückerstattet.

2002 wurde der Fall in einem Dokumentarfilm verarbeitet und mit der Finanzkrise wurde die Raiffeisenbank Gammesfeld für die Medienberichterstattung attraktiv. Das Denken geändert hat das nicht. Keine Entschuldigungen, kein Wunsch, das nachzumachen, eher ein Wunder, dass es so etwas noch gibt. Die Raiffeisenbank Gammesfeld richtet sich bis heute an die kleinen Leute des Ortes und versorgt sie mit Krediten. Großkredite müssen sich die Kunden woanders besorgen. Die Bank wird bewusst klein gehalten, – Fremde können keine Kunden werden – wie in der Schweiz, wo zu große Genossenschaftsbanken gesplittet werden, um wieder volksnah agieren zu können. (S.82f). Vogt betont, dass bis 1970 in Darlehenskassen die unbeschränkte Haftpflicht galt, was zeigt, wie stark das Vertrauen gegenüber den anderen Mitglieder war. Heute zahlen die Volks-und Raiffeisenbanken in Garantiefonds ein, welche die großen Banken auffangen, während kleine Banken bei einem Kreditausfall sofort pleite wären. Und kritisiert die Eigenkapitalquote von 10 Prozent der Bilanzsumme, die er als „himmelschreiender Diebstahl an der Bevölkerung!“ und „Gestohlenes beziehungsweise nicht zurückgegebenes Geld!“ bezeichnet, das statt an die Bilanzsumme an die Kreditsumme zu koppeln wäre, denn es sollte Kreditausfällen dienen statt der Einlagensicherung, schließlich sind es gefährliche Kredite, die Einlagen gefährden und abgesichert werden sollten. (S.84) So sind die Unterschiede zwischen Genossenschaftsbanken Bankinstituten, wie die Deutsche Bank, längst verschwunden.

Heute leitet Peter Breiter als Vorstand, Geschäftsführer und Sachbearbeiter die Gammesfelder Raiffeisenbank. Ihm stehen weiterhin nebenamtliche Vorstandsmitglieder und ein Aufsichtsrat zur Seite. Die Bank hat ca. 1000 Kunden, die alle im Dorf wohnen oder aus dem Dorf stammen. Die Verarbeitung von Überweisungen erfolgt manuell, die Kontoauszüge werden per Hand geschrieben.  Und es gibt keine EC-Karten. Mit den niedrigen Zinsen kämpft aber auch die Gammesfelder Raiffeisenbank, denn sie erhebt keine Gebühren. An die Online-Angebote der Raiffeisenbanken ist sie nicht angeschlossen, da es zu teuer wäre. Zudem sorgt die Bürokratie für immer mehr Arbeit. Eine Fusion lehnt aber auch Breiter ab. Die Bank ist viel zu unabhängig für einen Anschluss an ein großes Institut, es wäre ihr Tod. Es ist und bleibt eine Raiffeisenbank im Sinne Raiffeisens, zugeschnitten auf den Mikrokosmos eines Dorfes. 

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