Japans Zentralbanker, Mittelstand und Volksbanken – eine gefährliche Parallele

Tokio, den 17.November 2025, In Deutschland erleben viele Menschen zurzeit das Gleiche: steigende Preise und Mieten. Die Löhne kommen nicht hinterher, kleine Betriebe kämpfen um das Überleben, und vertraute Genossenschaftsbanken vor Ort verschwinden.

Oft wird das erklärt mit „Sachzwängen“: Personalmangel, Regulierung, Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Energiepreise, Kriege.
Der Ökonom Richard Werner hält das für zu kurz gegriffen. Er zeigt am Beispiel Japans, dass Krisen auch gemacht werden können – von Zentralbanken – und zwar mit einem klaren Effekt: Macht und Kontrolle wandern von unten nach oben, vom Mittelstand zu zentralen Akteuren. Auch für die Mitglieder der Genossenschaftsbanken ist diese Analyse hochrelevant. Denn viele Entwicklungen, die Werner beschreibt, sehen wir in abgeschwächter Form im genossenschaftlichen Bereich wieder: Zentralisierung, Fusionsdruck, Entmachtung der Mitglieder.

Japans „verlorene Jahrzehnte“ sind eine Warnung für Europa. Japan wird auch als Land der Dauerkrise bezeichnet: Seit Anfang der 1990er Jahre tritt die Wirtschaft mehr oder weniger auf der Stelle. Richard Werner beschreibt, wie die japanische Zentralbank (Bank of Japan) zunächst eine riesige Kredit- und Immobilienblase entstehen ließ – und dann den Geldhahn abrupt zudrehte. Die Folge: Bankenkrise, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit, ein lange anhaltender Abschwung.

Wichtig ist dabei ein einfacher, aber oft vergessener Punkt: Banken schaffen Geld, wenn sie Kredite vergeben. Entscheidend ist aber nicht nur wie teuer der Kredit ist (Zins), sondern vor allem wofür Kredite vergeben werden.

Geht der Löwenanteil der neuen Kredite in produktive Investitionen – neue Maschinen, sinnvolle Innovationen, lokale Unternehmen –, dann entsteht reale Wertschöpfung.
Geht er vor allem in Immobilien und Finanzspekulation, steigen zwar die Preise, aber es wird kein zusätzlicher Wohlstand geschaffen. Irgendwann platzt die Blase – und der Mittelstand bleibt auf der Strecke.

In Japan führte diese Politik dazu, dass:viele kleine und mittlere Unternehmen verschwanden oder geschwächt wurden, kleine Banken fusionierten oder geschlossen wurden, Kreditentscheidungen sich immer stärker bei wenigen großen Playern bündelten.

Anders gesagt: Die Krise war nicht nur ein Unfall, sie wirkte wie ein Programm zur Zentralisierung der Wirtschaft.

Vom „deutschen Wundermodell“ über die Wiedervereinigung zur Euro-Krise. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland in mancher Hinsicht das Gegenmodell: tausende lokale Banken (Volksbanken, Sparkassen, kleinere Institute), garantierten eine enge Bindung zwischen Bank und Betrieb vor Ort. Die Kreditvergabe an den Mittelstand war geregelt. Auf Spekulation wurde verzichtet, eine unabhängige Bundesbank war der Garant und in ein demokratisches Gesamtsystem eingebettet.

Dieses System hat viel zum deutschen Wirtschaftswunder beigetragen. Es war dezentral, bodenständig und mittelstandsfreundlich.

Mit dem Euro änderte sich das Grundmodell: Die Europäische Zentralbank (EZB) ersetzte die Bundesbank.

Alle Länder mussten sich einer einheitlichen Geldpolitik unterwerfen – unabhängig davon, ob sie eher Industrie- oder Dienstleistungsländer sind. Die EZB schuf über Jahre hinweg – unter anderem durch niedrige Zinsen und lockere Kreditpolitik – Immobilienblasen in verschiedenen Ländern, später auch Druck auf deutsche Banken.

Gleichzeitig schob Brüssel immer strengere Regulierungen und Eigenkapitalvorschriften für Banken an. Was auf dem Papier nach „Stabilität“ aussieht, hat eine Nebenwirkung: Kleine Institute können die wachsenden Anforderungen oft kaum noch stemmen. Genau das spielt den großen Playern in die Hände.

Diese Zentralisierung traf vor allem den Mittelstand. Das bedeutet Kredite werden unpersönlicher. Wenn Entscheidungen von digitalen Plattformen getroffen werden, zählen nur noch standardisierte Kennzahlen. Das lokale Wissen über den Betrieb, die Person, den Markt vor Ort geht verloren. Das trifft gerade kleine Betriebe, Handwerker, junge Unternehmen.
Hohe Schwankungen bei Energiepreisen, Immobilienpreisspiralen, plötzliche Zinswenden – all das trifft den Mittelstand härter als große Konzerne, die eigenen Zugang zum Kapitalmarkt haben.

Erfolgt eine Vorbereitung auf den „digitalen Zentralstaat“? Die geplante Einführung eines „digitalen Euro“ durch die EZB (eine Art Zentralbankkonto für alle) klingt modern. Tatsächlich würde das die Macht der Zentralbank massiv ausweiten.
Wenn die EZB Bürgern und Unternehmen direkt Konten anbietet, geraten die Geschäftsbanken – auch die Genossenschaftsbanken – unter zusätzlichen Druck – sie werden überflüssig. Im Krisenfall könnten Einlagen massenhaft von kleinen Banken in sichere Zentralbankkonten abfließen. Die Folge wäre eine weitere Konzentration der Geldmacht in wenigen Händen.

Am Ende steht das Risiko eines Systems, in dem Geld, Kredit und Zahlungsverkehr weitgehend zentral gesteuert werden. Für einen gesunden Mittelstand ist das Gift.

Parallelen zeigen sich im genossenschaftlichen Bankensektor, der unter Fusionsdruck steht. Schauen wir jetzt vor unsere eigene Haustür:Was ist aus unserer Genossenschaftsbank geworden?

Viele Mitglieder kennen das aus erster Hand: Ihre Bankleitzahl und Kontoverbindung hat siich geändert. Die bisherige Genossenschaftsbank „am Ort“ gibt es nicht mehr – sie ist Teil eines großen Fusionsgebildes geworden.

Entscheidungsträger sind nicht mehr Menschen, die im Dorf oder der Kleinstadt leben, sondern Vorstände in einer entfernten Zentrale. Wegfall von Filialen, Telefon-Hotlines statt persönlicher Ansprechpartner, weniger Mitsprache.

Offiziell werden Fusionen meist so begründet: steigende Regulierungskosten, teure IT-Systeme, „Wettbewerb“ mit Großbanken und Direktbanken und Mangel an geeignetem Personal. Das mag teilweise stimmen. In der Summe entsteht jedoch ein Muster, das an die von Werner beschriebene Zentralisierung erinnert: Der genossenschaftliche Verbund wird immer stärker von einigen wenigen großen Einheiten dominiert. Kleine, eigenständige Genossenschaftsbanken verschwinden.

Die Mitglieder vor Ort werden vom Souverän der Genossenschaft zu statistischen Größen in einer Vertreterversammlung, deren Einfluss begrenzt ist. Die ursprüngliche Idee der Volksbanken – lokale Selbsthilfe auf Augenhöhe – wird so ausgehöhlt.

Entmachtung der Mitglieder erfolgt schleichend und leise, aber wirksam. Hinzu kommt eine Entwicklung, die man nur merkt, wenn man genauer hinschaut:Statt einer Generalversammlung, in der alle Mitglieder teilnehmen können, gibt es oft nur noch Vertreterversammlungen.

Wahlkreise und Wahlverfahren sind komplex, Informationsunterlagen schwer verständlich. Kritische Anträge haben es schwer, überhaupt zugelassen zu werden. Entscheidungen zu Fusionen, Strategie, Vergütung der Vorstände werden in überschaubaren Gremien getroffen, nicht durch breite Mitgliederbeteiligung. Damit passiert im Kleinen dasselbe, was wir auf der Ebene von EU und EZB sehen: Diejenigen, die die Folgen tragen (Bürger, Mitglieder, Mittelstand), verlieren Schritt für Schritt an Einfluss.

Diejenigen, die steuern (Zentralbanken, Aufsichtsbehörden, Verbandsapparate), gewinnen mehr Macht – weitgehend abgeschirmt von direkter demokratischer Kontrolle.
Sind Genossenschaftsbanken Transmissionsriemen der Zentralisierung – oder Teil der Lösung?

Trotzdem ist die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Denn Genosenscfatsbaken könnten auch das genaue Gegenteil sein: ein wirksamer Schutz gegen die vollständige Zentralisierung.

Sie haben dafür mehrere große Vorteile: Nähe. Sie kennen ihre Mitglieder und Kunden – zumindest dann, wenn die Bank wirklich vor Ort verankert bleibt und nicht zu einer reinen Marke in einem Großverbund verkommt.

Genossenschaftsstruktur. Jedes Mitglied ist Miteigentümer. Anders als bei Aktienbanken gibt es keinen externen Großaktionär, der nur Dividende sehen will.

Tradition der Selbsthilfe. Genossenschaftsbanken sind historisch aus der Not kleiner Leute und Betriebe entstanden, nicht aus der Finanzindustrie. Ob diese Stärken erhalten bleiben, entscheidet sich jetzt – in den nächsten Jahren:

Setzen sich Fusionswellen, Filialschließungen und Entmachtung der Mitglieder fort, werden Genossenschaftsbanken zu bloßen Vertriebsorganisationen innerhalb eines zentral gesteuerten Systems.

Oder es gelingt, an manchen Orten gegenzusteuern: Selbständigkeit bewahren, Mitglieder stärken, Kredit wieder an reale Unternehmen und Projekte richten statt überwiegend an Immobilien und Finanzprodukte Fragen stellen. Auf General- oder Vertreterversammlungen nachhaken:

Warum wird fusioniert? Wie viele Filialen werden geschlossen? Wie entwickelt sich das Kreditvolumen für regionale Unternehmen?

Gibt es Zahlen dazu, wie viel in produktive Investitionen fließt und wie viel in Immobilien- oder Wertpapiergeschäft? Mitgliederrechte nutzen Informations- und Einsichtsrechte wahrnehmen. Kandidieren oder andere unterstützen, die sich für mehr Transparenz und Regionalität einsetzen. Auf Satzungsänderungen achten: Werden Mitgliederrechte gestärkt oder weiter beschnitten? Öffentlichkeit herstellen Berichte in lokalen Medien anstoßen. Entwicklungen dokumentieren und kritisch begleiten – zum Beispiel über Plattformen wie die Genonachrichten.

Über Neugründungen nachenken. Wenn vor Ort gar nichts mehr geht, ist auch das möglich, was die Genossenschaftsbewegung einst stark gemacht hat: neue, kleinere Genossenschaftsbanken und -projekte zu gründen, die sich bewusst gegen den Konzentrationstrend stellen.

Fazit. Die „japanische Lektion“ zeigt: Krisen und Dauerstagnation sind nicht zwangsläufig Naturereignisse. Sie können auch das Ergebnis einer Politik sein, die am Ende vor allem eines bewirkt: die Zentralisierung von Macht – auf Kosten des Mittelstands und lokaler Strukturen.

Im Euro-Raum spielt die EZB dabei eine Schlüsselrolle. Und im genossenschaftlichen Bereich droht die gleiche Logik: Fusionsdruck, Zentralisierung, Entmachtung der Mitglieder.

Gerade deshalb sind ein unabhängiger genossenschaftlicher Bankensektor heute wichtiger denn je. Gemeint sind die Genossenschaftsbanken vor Ort.

Ob sie das tun, hängt nicht nur von Vorständen und Verbänden ab, sondern auch von uns Mitgliedern: davon, ob wir hinsehen, nachfragen und unsere Rechte tatsächlich nutzen.

Japan Zentralbank, Japans verlorene Jahrzehnte, Richard Werner
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